Im Zauber des Mondes
Auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubte, war es doch immerhin möglich, daß sie die Wahrheit sagte. Die Frage war nur: Was sollte sie überhaupt für einen Grund haben, ihn zu belügen?
Er durchstreifte auf der Suche nach ihr die gewundenen Straßen des Theaterbezirks, manchmal zu Fuß, obwohl sein Bein noch weh tat, wenn er zu weit lief, manchmal in seinem Wagen, manchmal lieh er sich eine Kutsche. Das schlechte Wetter ließ sein Bein schmerzen und verbesserte seine oft recht üble Laune nicht gerade. Er hatte gehofft, sie irgendwo auf der Straße zu sehen und ihr bis nach Hause folgen zu können. Am liebsten hätte er sich breit auf jede Straßenkreuzung gestellt und ihren Namen gebrüllt, bis sie herausgekommen wäre, aber sein Instinkt riet ihm, vorsichtig vorzugehen.
Dann, als seine vorsichtige Methode keinen Erfolg zeigte, mußte er direktere Maßnahmen ergreifen. Er klopfte diskret an die Türen mehrerer Dutzend Häuser und fragte nach einer Caitlyn O'Malley. Natürlich beschrieb er sie für den Fall, daß sie unter einem anderen Namen hier lebte. Endlich, in der vierten Woche, hatte er Glück. Ein dralles Dienstmädchen öffnete ihm die Tür eines hübschen Reihenhauses in der Lisle Street. Auf seine Frage hin begann sie albern zu kichern, dann sagte sie, sie kenne zwar keine Caitlyn O'Malley, aber eine junge Frau, auf die seine Beschreibung passe, wohne etwas
weiter die Straße hoch, auf Nummer zwei, um genau zu sein. Connor dankte ihr für die Information und ging weg. Sein erster Gedanke war, sofort nachzusehen, ob er sie wirklich gefunden hatte, aber dann beschloß er, erst einmal nach Hause zu gehen und alles gut durchzudenken.
Die Curzon Street, in der Connor ein kleines Haus gemietet hatte, war keine vornehme Adresse, auch wenn sie es einmal gewesen war. Connor war das egal, er hatte keinen Sinn für Extravaganz, und das ordentliche kleine Häuschen reichte für ihre Bedürfnisse vollkommen aus. Er hatte Mrs. Dabney bei einer Agentur als Haushälterin und Köchin engagiert, und sie hatte darauf bestanden, daß er noch zwei Mädchen einstellte, die alles sauber hielten. Mickeen spielte Butler und Mädchen für alles, man konnte also sehr wohl sagen, daß Liam und er gut versorgt waren.
Liam gefiel es in London überraschend gut, und Connor bezweifelte nicht, daß das zum Großteil mit den englischen Mädchen zusammenhing, die sich nicht gleich zum ewigen Höllenfeuer verdammt sahen, wenn sie einmal die Röcke hoben, ohne mit dem Betreffenden verheiratet zu sein. Trotzdem sehnte sich wohl auch Liam ab und zu nach der frischen Luft und den grünen Feldern von Donoughmore, zurück, auch wenn er nie darüber sprach. Aber auch wenn er London gehaßt hätte, wäre Liam bei ihm geblieben. Er liebte ihn und war fest entschlossen, ihm dabei zu helfen, seinen Schmerz über Caitlyns Tod zu überwinden.
»Da bist du ja, Conn! Ich werde heute in Gibbs Parlor vorbeischauen, hast du nicht Lust mitzukommen? Etwas Abwechslung würde dir guttun!« Liam, in gelben Hosen und einem grünen Überrock, die nur einen kleinen Teil seiner Londoner Garderobe bildeten, kam gerade die Treppe herunter, als Connor die Tür aufsperrte. Mickeen war kein besonders typischer Butler, aber wahrscheinlich hätte Connor damit auch nichts anfangen können.
»Was? O nein, ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen, danke.« Connor war tief in Gedanken versunken und sah nur kurz auf, um seinem Bruder zu antworten. Liam musterte ihn besorgt.
Connor wußte sehr wohl, daß er sich in letzter Zeit recht merkwürdig verhielt, und ein paarmal hätte er Liam beinahe alles erzählt, aber dann brachte er es nicht über sich. Er wußte, daß es Caitlyn gegenüber nicht loyal wäre. Würde er ihnen erzählen, daß sie am Leben war und ihnen nicht einmal eine Nachricht hatte zukommen lassen, während er vor Kummer fast verrückt geworden war, würden seine Brüder sie hassen. Er wollte nicht, daß sie schlecht von ihr dachten, und auch wenn er sich selbst oft genug dafür einen Narren schimpfte, so war sein Herz doch nicht bereit, sie aufzugeben.
Connor durchquerte gerade die Halle in Richtung auf sein Büro, da fiel ihm etwas ein. »Paß auf, daß du nicht zu viel verspielst! Meine Mittel sind nicht unerschöpflich«, sagte er warnend und warf Liam einen Blick über die Schulter zu. Das klang schon eher nach Connor, und etwas von der Sorge verschwand aus Liams Gesicht. Er grinste, versprach, die Familie nicht zu ruinieren, und überließ
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