Im Zeichen der Angst Roman
war, dass es denen da drüben besser gehen würde als uns.«
»Und meine Mutter hat Meinhard Laufer nach dem Mauerfall im Westen gesucht?«
»Deine Mutter«, sagte Martin, »mag ihre Fehler gehabt haben. Aber sie war auch eine, die immer ihr Wort gehalten hat. Sie versprach den Eltern von Johann Paulsen, dass sie den Mörder ihres Sohnes finden würde. Denn letztlich war es Mord. Er wurde als Spion denunziert und verurteilt. Jeder wusste, dass er keine Chancen hatte, jemals von den Engländern ausgetauscht zu werden, und das aus einem einzigen Grund: weil er kein Spion war. Wir alle wussten, dass Johann niemals zurückkommen würde. So war das eben damals.«
»Ja«, sagte Rena leise. »Als die Mauer fiel, ist sie gegangen, um dieses dämliche Versprechen zu halten. Sie wollte den Tod von Johann Paulsen rächen. Das, meine liebe Clara, das wollte sie unbedingt. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie diese andere Tochter zur Adoption freigegeben hatte. Noch dazu im Westen …«
»Sie hat mir nichts gesagt …«
»Oh«, sagte Rena. »Vielleicht deinem Vater …?«
»Mein Vater hat es wirklich gewusst?«
»Ja«, sagte Martin. »Irgendwann wird sie ihm erzählt haben, dass sie sich mit ihrer anderen Tochter traf. Und dass er sie gehen ließ, passt durchaus zu ihm. Er war einfach zu anständig. Er hätte sie aufhalten und seine Ehe und eure Familie retten sollen. Stattdessen lässt er die Frau ziehen. Gut, dass er nicht mehr erlebt hat, dass sie in ihr Verderben gerannt ist.«
»Wie meinst du das?«
»Sie wurde ermordet, richtig?«
»Ja.«
»Sie hat die Tochter gefunden?«
»Ja«.
»Dann geh davon aus, dass sie auch den Vater gefunden hat. Und mit dem spaßt man nun mal nicht.«
»Sie hat mir geschrieben, dass sie ihn gefunden hat.«
»Dann frag die Tochter. Sie muss es ja wohl wissen. Dann sieh zu, dass du ihr niemals mehr begegnest«, sagte Rena.
Ich sah sie fragend an.
»Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« Rena stand auf, und ohne ein weiteres Wort an mich zu richten, verließ sie die Küche.
»Du musst ihr das nicht übelnehmen«, sagte Martin, als sich die Tür hinter ihr schloss.
»Wie bitte?«, fragte ich. »Sie will mich nicht sehen, und sie will ihre Enkelin nicht sehen?«
»Sie ist kein schlechter Mensch«, sagte Martin. »Sie kommt nur mit Kais Tod nicht zurecht. Sie kann es nicht. Sie hat sich heute alle Mühe gegeben, sich mit deiner Tochter anzufreunden. Aber es geht nicht, Clara. Josephine sieht aus wie Kai, und sie erinnert sie an ihn. Jedes Mal, wenn sie Josey sieht, sieht sie ihren eigenen Sohn. Das erträgt sie nicht. Wenn sie dich sieht, dann kommen all die alten Geschichten hoch. Immer war das so.«
Ich wusste, was er meinte, aber das machte es nicht besser.
Ich stand auf. Seine Hand legte sich auf meine.
»Da ist noch etwas«, sagte er.
»Ja?«
»Claus ist auch zur Toilette gegangen. Nur deshalb hat Rena Josey alleine gehen lassen. Sie dachte, sie treffen sich da. Deshalb hat sie sich auch nicht gewundert, als das Kind so lange nicht zurückkam.«
»Claus?«, fragte ich überrascht.
Er nickte.
»Wie lange war sie weg?«
Er zuckte mit den Achseln. »Es ging dann alles so schnell. Auf einmal kamen die Rettungssanitäter. Gleichzeitig war die ganze Polizei da unten im Foyer. Alle haben sie uns befragt. Jeden Einzelnen. Dann haben sie dich durchs Foyer geschoben, und wir alle wussten nicht, was los war.«
»Claus wurde auch befragt?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Claus hab ich nicht mehr gesehen.«
»Habt ihr es der Polizei gesagt?«, fragte ich.
Martin spannte die Schultern an und streckte den Brustkorb raus. »Nein«, sagte er. »Der Junge hat damit nichts zu tun, und weshalb sollen wir ihn in Schwierigkeiten bringen?«
»Vielleicht ist er einfach nur gefahren«, sagte ich, »nachdem die Beerdigung vorbei und ich oben mit der Polizei war. Vielleicht war er deshalb zuvor noch einmal auf der Toilette.«
»Vielleicht«, sagte Martin, doch er klang so, als wüsste er es besser und als würde ihm dieses Wissen keine Freude machen.
»Claus ist mein bester Freund«, sagte ich. »Er würde sich niemals auf etwas einlassen, das mir oder Josey schadet.«
»Ich hab schon Pferde kotzen sehen«, sagte Martin. »Aber im Zweifel bin ich auch immer für den Angeklagten.« Er überlegte einen Moment. »Ich habe dir nie die Schuld an Kais Tod gegeben«, sagte er und nahm meine Hand erneut. »Das musst du mir glauben.«
»Danke, ich weiß.« Ich entzog
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