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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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unter dem Laken von den Zehen bis zu der Duschhaube. Ihre Beine waren seltsam kurz im Vergleich zu ihrem langen Oberkörper. Mein Vater und ich hatten darüber manchmal heimlich gelästert und sie Dackelbeine genannt. Obgleich sie nicht krumm waren. Aber sie besaßen eine ähnliche Rundlichkeit und gingen in einen ähnlich satten Po über.
    »Kennen Sie sie?«, fragte mich Mankiewisc, doch ich starrte weiter wie paralysiert auf den Körper und antwortete nicht.
    »Kennen Sie sie?«, wiederholte er stoisch.
    Reflexhaft wollte ich nein sagen, als könnte ich ihren Tod damit rückgängig machen, doch ich brachte es nicht über die Lippen. Schließlich fragte ich noch einmal, wie sie darauf gekommen waren, dass ich sie kennen würde.
    Groß sah Mankiewisc an.
    »Sie hatte Ihre Adresse in der Tasche.«
    Ich schaute noch einmal auf meine Mutter.
    »Und was noch?«, fragte ich ungeduldig. »Was hatte sie noch dabei? Sie sprachen von Sachen. Eine Adresse ist aber keine Sache.«
    Mankiewisc winkte Umlandt zu. Der nahm einen blauen Plastiksack von dem Instrumententisch.
    »Zeitungsausschnitte«, sagte Mankiewisc, »und Fotos.«

    Dr. Umlandt schüttete den Inhalt des Sacks auf dem Bauch der Frau aus. Ich fand das pietätlos, aber vielleicht wird man ja so gleichgültig, wenn man Tag für Tag nur mit Leichen zu tun hat.
    Eine hellgraue Flanellhose fiel heraus, dann ein schwarzer Kaschmir-Pullover. Eine schwarze, gesteppte Jacke. Schneeweiße Unterwäsche. Umlandt schüttelte noch einmal. Eine schwarze Handtasche mit aufgenähtem Außenfach. Ein Paar Pollini-Schnürschuhe. Außerdem ein brauner Papierumschlag, wie sie in Behörden verwendet werden. Bis auf den Umschlag packte Umlandt alles zurück in den Plastiksack.
    Er öffnete den Umschlag. Auf den Bauch meiner Mutter fielen eine goldene Armbanduhr mit Gliederarmband, ein goldenes Medaillon und ein Handy. Nichts davon kam mir bekannt vor. Umlandt griff in den Umschlag. In der Hand hielt er zwei Zeitungsausschnitte, sorgfältig auf die Größe einer Brieftasche zusammengefaltet, und Fotos. Allerdings gab es weder ein Portemonnaie noch eine Brieftasche. Er reichte mir die Papiere.
    Ich warf einen Blick auf die Artikel.
    Mir zitterten die Knie. Ich lehnte mich gegen die Bahre.
    Mein Fall vor Gericht. Mit einem Foto von mir und dem Opfer. Ich konnte Christian Bruchsahl nicht ansehen. Auch nach diesen vielen Jahren nicht. Er war ein ganz normaler Mann gewesen. Eine unscheinbare Gestalt von mittlerer Größe, mit mausbraunem Haar und einem dieser unauffälligen Dutzendgesichter, wie man sie oft im Vorbeigehen sieht, ohne sie zur Kenntnis zu nehmen. Er war Mitte vierzig, Single, und er war Arzt.
    Seitdem meine Tochter Johanna ein Jahr alt war, litt sie an einer besonders schweren Form von Asthma. In der kurzen Lebenszeit, die sie hatte, war sie fünfmal auf der Intensivstation gewesen.
    Und dieser Arzt, dieser Doktor der Allgemeinmedizin, der einen hippokratischen Eid abgelegt hatte, Leben zu retten, dieser
Mann sollte das Leben meiner Tochter beendet haben, weil sie ihr lebensrettendes Asthmaspray nicht bekam? Wenn das zutraf, dann war er ein Monster und nicht berechtigt, Arzt zu sein, nicht berechtigt, jemals wieder einen Menschen zu heilen. Nicht berechtigt zu leben. So hatte ich das in dem Moment empfunden, als ich ihm die Pistole an den Kopf setzte.
    Doch im Angesicht seines Todes sagte er ganz ruhig den einen Satz: »Ich habe Ihre Tochter nicht entführt, doch ich trage einen Teil der Schuld.«
    Ich muss ihn angesehen haben wie eine Irre. Ich war völlig überrascht, und mein Gehirn schaltete auf Autopilot. Zehn Tage, nachdem sie Johannas Leiche gefunden hatten, hatte ich einen anonymen Brief mit seinem Namen und seiner Adresse erhalten. Jemand hatte mir mitgeteilt, dass der Arzt Dr. Jörn Bruchsahl meine Tochter entführt hatte. Ich war so glücklich, dem Mörder meiner Tochter einen Namen und ein Gesicht geben zu können, dass ich es ohne jeden Zweifel geglaubt hatte und während der ganzen Autofahrt in dieses 60 Kilometer entfernte Dorf nicht ein einziges Mal darüber nachdachte, ob mir jemand eine falsche Information unterschieben wollte. Ich hatte während dieser Fahrt nur überlegt, ob meine Devise »Auge um Auge« nicht vielleicht doch das Relikt aus einer fernen Zeit war. Mein Vater hatte mir zugeredet, den Mann zu töten, wenn ich seiner habhaft werden konnte. Doch es war auch für ihn eine theoretische Option. Mit Kai sprach ich nicht darüber, weder über den

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