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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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Foto von Kai, das offenbar aus einer Zeitung abfotografiert worden war. Das zweite zeigte meine Mutter. Das dritte Foto zeigte meine Tochter Johanna. Man hatte ihre Gesichter mit einem roten Filzstift durchgestrichen. Eine Faust umk lammerte mein Herz. Ich wusste, wen ich auf dem vierten Foto sehen würde.
    Fast schlagartig sank die Raumtemperatur auf den Gefrierpunkt. Nicht noch einmal, dachte ich. Bitte. Wenn das Ganze noch mal von vorne losgeht, breche ich zusammen. Ich legte die drei Fotos nebeneinander auf den Tisch. Dann sah ich das vierte Foto an. Meine Tochter Josephine lachte mir entgegen.
    Ich biss die Zähne aufeinander, bis die Kieferknochen schmerzten, und wies auf den anderen Umschlag.
    »In dem sind Duplikate. Hab ich fotokopiert.«
    Ich schwieg.
    »Das ist eine Drohung«, sagte Claus. »Und deshalb solltest du David Plotzer treffen.«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte diesen Mann nicht mehr sehen.
     
    Der Psychotherapeut John Hart hatte mich im Gefängnis gelehrt, Dinge auszublenden. Bis zu einem gewissen Grad kann das selbstverständlich jeder. Aber wenn man für etwas, das man nicht getan hat, neun Jahre hinter Gitter geht und weiß, dass man sechs davon auf jeden Fall absitzen muss, dann überlebt man diese Zeit nur dann halbwegs unbeschadet, wenn man sich nicht ständig mit überflüssigen Fragen quält. Warum ich? Warum geschieht mir dieses schreiende Unrecht? Was habe ich verbrochen, dass man mich so straft?
    Ich lernte durch ihn, im Hier und Jetzt zu sein, meine Vergangenheit
abzustreifen, nicht an die Zukunft zu denken, sondern nur das zu tun, was der Augenblick von mir verlangte. Ich lernte nicht nur, Zigarrenkisten mit Samt auszuschlagen und unliebsame Gedanken hineinzupacken. Ich lernte auch, verschiedene Welten zu entwerfen, die ich säuberlich voneinander trennen konnte. Ich konnte mich mit einem Aspekt meines Lebens befassen und jeden ablenkenden Gedanken aus meinem Bewusstsein verbannen. Bei Filmen wie »Road to Perdition« fragten sich die Zuschauer vielleicht, wie Tom Hanks tagsüber Auftragskiller der Mafia sein konnte und abends nach Hause kam, um seiner Frau und seinen zwei Jungs ein liebender, verständnisvoller Vater zu sein. Robert de Niro im »Paten« konnte es auch. Ich verstand durch John Hart, wie sie es machten. Ich tat es ihnen nach, obgleich sie Männer waren und ich eine Frau und es mir sehr schwer fiel, mein Leben in einzelne Segmente aufzuteilen. Geht es jedoch ums Überleben, kann das jeder trainieren. Bei mir ging es weniger um ein physisches als vielmehr um mein psychisches Überleben. Ich wollte als der Mensch aus der Haft entlassen werden, als der ich sie angetreten hatte. Ich wollte mich nicht verbiegen lassen, nicht zynisch werden, nicht mitleidlos und nicht rachsüchtig. Ich hatte verstanden, wohin es Menschen führen konnte. Deshalb lernte ich, parallele Universen zu entwerfen. Ich hatte mein ganzes Leben so aufgeteilt. Hier meine Kindheit. Dort meine Eltern. Hier meine Ehe und meine erste Tochter. Dort meine Inhaftierung. Hier meine Trennung und dort mein neues Leben allein mit Josey fern all der Katastrophen und Schicksalsschläge.
    Ich war auf diese Fähigkeit nicht stolz. Ich hatte sie gelernt, weil ich sonst zu einem seelischen Wrack geworden wäre. Sie barg jedoch ein paar nicht unerhebliche Risiken und Gefahren in sich, und ich erfuhr in diesem Moment, welche.
     
    Denn was war, wenn alle diese Universen miteinander verbunden waren? Wenn es einen Schlüssel gab, den ich nur nicht besaß,
oder eine Verbindung, die ich nie gesehen hatte, weil ich die Ereignisse in meinem Leben niemals in einen Zusammenhang gestellt hatte? Was, wenn sie meiner Tochter Josephine etwas antaten? Was, wenn sie starb? Oder ich? Was wurde dann aus ihr?
    Eine Welle des Selbstmitleids drohte, mich mit sich zu reißen. Ich ließ es nicht zu, blieb rational und überlegt. Ich hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging, und ich hatte im Augenblick auch keine Chance, es herauszubekommen.
    Doch eines wusste ich genau: Etwas Bedrohliches war gerade in mein Leben getreten, und es bedrohte Josey und mich. Ich wusste nicht, von wem es kam oder weshalb oder in welcher Gestalt. Doch ich musste Josey schützen, und David Plotzer konnte uns helfen. Niemand wusste das besser als ich.
    »Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen«, sagte ich und rieb mir die Stirn.
    »Bitte ihn um Hilfe.«
    »Nein«, sagte ich bestimmt.
    »Meine Güte, Clara. Sei nicht immer so ein

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