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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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sie nickte.
    Lena räumte die Teller vom Tisch.
    »Danke«, sagte ich und reichte ihr die Hand. Sie lächelte. Es war ein Friedensangebot, als sie ihre warme, vom Abwasch noch feuchte Hand in meine legte.
    Josey zog im Flur ihren Daunenparka und ihre Stiefel an. Sie trug hier im Haus keine Hausschuhe, denn es gab eine Fußbodenheizung.
    Patrizia brachte uns zu Tür.
    »Ist wirklich alles okay?«, fragte sie.
    »Ja«, sagte ich. »Ich habe mir heute einfach frei genommen.«

    Patrizia erwiderte nichts, aber ihrem Blick entnahm ich, dass sie mir nicht glaubte.
    Ich nahm Josephine den Ranzen ab, und wir gingen raus auf die Straße zum Auto. Ich warf den Ranzen hinein, hielt ihr die Tür auf, und mit einem Satz sprang sie auf den Rücksitz. Ich schnallte sie an und fragte dabei, wie es in der Schule gewesen war.
    »Hm«, sagte sie. Ich fragte sie, wie es beim Schwimmen gewesen war.
    Sie zuckte mit den Achseln.
    Ich fuhr los und fragte, ob sie ihre Mappe mit den gepressten Blütenblättern wiederbekommen hatte.
    »Hm«, tönte es leise und gelangweilt, während sie den Kopf auf die Seite drehte und aus dem Fenster sah.
    Ich parkte vor unserem Haus ein und fragte, welche Zensur sie bekommen hätte.
    »Zwei«, sagte sie.
    Ich hatte sie immer wieder im Rückspiegel angesehen. Normalerweise erwiderte sie meinen Blick, und normalerweise strahlte sie dann und konnte gar nicht aufhören, über die Schule zu reden. Schule, das war für sie nach diesen knapp drei Monaten immer noch ein riesiger, aufregender Abenteuerspielplatz. Sie liebte es nicht nur, dort zu sein. Sie liebte es, darüber zu sprechen, was sie alles neu gelernt hatte, was sie getan hatte und wie es gewesen war.
    Sie war wirklich wütend auf mich.
    Ich öffnete die Tür, und sie sprang hinaus. Ihren Ranzen zog sie hinter sich her.
    Ein Mann schwankte auf uns zu. Ich nahm Joseys Hand und zog sie eng an mich.
    »Lass mich«, sagte sie und versuchte, sich loszumachen. Es gelang ihr nicht. Sie war ein Kind und ich eine Mutter, die gerade von einer Ladung Adrenalin überschüttet wurde.
    Er war unrasiert, ein Auge war entzündet und tränte. Er trug
eine gefütterte Jeansjacke mit einem Kragen aus künstlichem Fell, das vor Schmutz starrte. Seine Jeans hatte einen langen Riss quer über dem Knie und war genauso abgenutzt wie seine schlammbespritzten Turnschuhe. Der Mann rempelte mich an. Ich versuchte, ihm noch einmal ins Gesicht zu sehen.
    »Pass auf, du Schlampe«, nuschelte er und war auch schon vorbei.
    Mein Herz raste auf der Überholspur.
    Ich drehte mich dennoch um.
    Es hätte mich nicht gewundert, wenn er nicht mehr gewankt wäre.
    Er hielt sich an einem Baum fest und schaute auf die Straße. Erst nach links, dann nach rechts. Ich blieb stehen und sah ihm nach, wie er über die Straße taumelte. Josephine riss an meiner Hand.
    »Ich will nach Hause«, sagte sie und sah zu mir hoch.
    Es war nicht der liebe - und verständnisvolle Blick, den ich erwartet hatte.
     
    Es ist ein Gerücht, dass Töchter und Mütter immer ein Herz und eine Seele sind. Manchmal brauchen Kinder einen Sparringpartner. Manchmal müssen sie einfach ihre Grenzen austesten oder verschieben. Und manchmal, wenn die Väter nicht greifbar sind, weil sie zu viel arbeiten oder getrennt leben, fechten die Mütter diese Kämpfe wieder und wieder und bis zur Erschöpfung mit den Töchtern aus - und ich saß gerade mitten in einem solchen Gefecht.
    Es stimmt auch nicht, dass Kinder ihre Väter nach einer Weile nicht mehr vermissen. Sie arrangieren sich, finden sich ab. Doch sie leiden trotzdem. Manchmal fühlen sie sich schuldig, wenn die Ehe der Eltern zerbricht. Manchmal zerbrechen sie selbst. Das war eine meiner Sorgen. Dass ich vielleicht nicht stark genug war, vielleicht nicht gut genug, dafür zu sorgen, dass Josey nicht zerbrach.

    Josey wusste so gut wie nichts über ihren Vater, und sie hatte auch keine Erinnerung an ihn. Kai und ich waren im Januar 1990, nur zwei Monate nach dem Mauerfall, nach Hamburg gezogen. Wir hatten uns im Westen bessere berufliche Chancen ausgerechnet, und da ich als Journalistin arbeitete, kam nur eine Großstadt mit starker Medienpräsenz in Frage. Kai hatte sich in Hamburg mit einer Kanzlei selbständig gemacht. Die ersten sechs Jahre war sie mehr schlecht als recht gelaufen, und wir hätten uns die Wohnung in Eppendorf nie leisten können, wenn ich nicht sehr schnell fest angestellt als Redakteurin gearbeitet und sehr gut verdient hätte. Die Kanzlei war erst zu

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