Im Zeichen der Angst Roman
haben den Junkie«, sagte Mankiewisc. »Leider tot. Überdosis. Die Spritze steckte noch im Arm.«
»Wo haben Sie ihn gefunden?«
»Wo wohl?«, fragte Mankiewisc und schnaufte kurz und verächtlich. »Wo sie immer liegen. In der Bahnhofstoilette.«
Ich muss wohl blass geworden sein, als Mankiewisc so ungerührt davon sprach. Der Junge wäre ein Ausreißer gewesen. Er kam aus einem kleinen Dorf im Emsland. Seine Eltern hätten schon zum dritten Mal eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Zweimal hätten sie ihn in Berlin aufgelesen, zweimal wäre er in einem Heim gelandet. Zweimal hätte er dort einen Entzug gemacht, zweimal wäre er nach ein paar Wochen getürmt. Nun, das dritte Mal war er also in Hamburg gelandet.
»Endstation Sehnsucht«, sagte Mankiewisc und nippte vorsichtig an dem frisch aufgegossenen Tee.
»Seien Sie nicht so zynisch. Er war ein Junge. Er hatte mal Träume, Wünsche, Hoffnungen.«
Mankiewisc sah mich an. »Er kam sogar aus einem, sagen wir mal, normalen Elternhaus. Vater Ingenieur, Mutter Hausfrau, drei jüngere Geschwister.«
»Seine Mutter?«
Groß verstand. »Sie hat ihn gestern identifiziert. Danach mussten wir einen Krankenwagen holen. Sie hat einen Herzanfall bekommen und liegt auf der Intensivstation.«
»Denken Sie, er ist umgebracht worden?« Ich versuchte, meiner Stimme einen professionellen Klang zu geben.
Mankiewisc nickte. »Denkbar. Wird aber schwer sein, das nachzuweisen. Da schützt jeder jeden, und keiner hat etwas gesehen. Immer dasselbe.« Seine Stimme klang monoton.
»Berührt Sie eigentlich gar nichts mehr?«, fragte ich.
»Lassen Sie das«, schnaufte Mankiewisc überraschend. »Ich sitze hier nicht auf der Couch. Ich mache meinen Job. Ich mache ihn seit 29 Jahren. Ich hab eine Menge gesehen, und ich habe Dinge gesehen, von denen Sie nicht einmal etwas hören wollen. Also, kommen Sie mir nicht auf die Tour.«
Ich stutzte einen Moment. Das war eine klare Ansage. Und sie lautete: Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Scheiß. Er hatte es nur höflicher formuliert.
»Und? Hat jemand beobachtet, ob er von jemandem den Umschlag bekommen hat?«, fragte ich.
Groß schaute zu Mankiewisc.
»Toller Tee«, sagte der.
»Tee Gschwenders am Jungfernstieg«, sagte ich. »Sehr zu empfehlen.«
»Es war vermutlich eine Frau«, fuhr Mankiewisc fort. »Größe eins siebzig, Alter zwischen fünfzig und sechzig, zirka sechzig Kilo. Attraktiv, gut gekleidet. Es könnten viele sein …«
Seine Stimme blieb in der Luft hängen.
»… auch ich an einem schlechten Tag«, sagte ich. »Haben Sie von der auch eine Phantomzeichnung?«
Ich sah Groß an.
Der schüttelte den Kopf. »Niemand hat ihr Gesicht gesehen. Aber es könnte sein, dass die beiden sich kannten. Sie parkte in einem Auto vor dem Haupteingang, dort, wo die Taxis stehen. Sie hatte ein Behindertenschild im Heckfenster. Deshalb hat sich wohl kein Taxifahrer darum gekümmert und sie auch nicht weggescheucht, wie sie es sonst immer tun. Und sie hat ihn zu sich gewunken.«
»Was für ein Auto?«, fragte ich.
»Range Rover«, sagte Groß. »Dunkel, blau oder schwarz. Das wussten sie nicht mehr genau. Kennzeichen unbekannt.«
Mir wurde übel.
Mankiewisc beobachtete mich ungerührt unter den dichten Brauen. Ein langes Haar stand ab. Er pustete in die Tasse und schlürfte den Tee.
»Kennzeichen kann man stehlen oder manipulieren«, sagte er.
Ich wusste, was er meinte. Übel war mir trotzdem.
»Autos auch«, sagte ich schwach.
Sie kommentierten es nicht weiter, und ich fragte nicht. Mein Auto war nicht gestohlen worden.
Für die Nacht, in der meine Mutter umgebracht wurde, hatte ich kein Alibi, doch selbst Mankiewisc schien der Ansicht zu sein, dass das zu einfach war.
Außerdem war ich an dem Vormittag, als der Kurier beauftragt worden war, mit Mankiewisc und Groß in der Pathologie gewesen. Wasserdichter konnte ein Alibi nicht sein.
Trotzdem fühlte ich mich unwohl. Irgendjemand legte es darauf an, mich verdächtig erscheinen zu lassen. Doch aus welchem Grund?
Ich hatte keine Zeit, meinen Fragen nachzuhängen. Groß informierte mich, dass die Leiche jetzt freigegeben sei.
7
Mein Vater war ein besonnener Mann gewesen. Als er starb, hatte er alles geregelt, was es zu regeln gab. Er hatte seine Zeitungen abbestellt, seine Mitgliedschaft in Imker - und Sportverein gekündigt, mir sämtliche Vollmachten für Konten und Versicherungen übertragen. Er hatte drei Wochen vor seinem Tod das Urnengrab gekauft, in dem er
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