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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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war kein Spaß«, sagte sie. Dann wandte sie sich zu Groß.
    »Du bist böse.« Sie zeigte mit dem Finger auf Groß.

    Mankiewisc grinste. Na bitte, dachte ich, geht ja doch.
    Sie lief zu mir und drückte ihr Gesicht an meinen Bauch. Ich nahm sie auf den Arm und küsste sie. Ich legte mein Gesicht an ihren Hals und pustete dagegen. Sie kicherte und wand sich in meinen Armen. Ich liebte ihren Geruch, diesen süßlichen, sauberen Geruch, den nur Kinder haben und der ebenso unschuldig ist wie sie selbst.
    »Sie sollten sie anderswo unterbringen«, sagte Groß. »Vielleicht nur ein paar Tage.«
    »Nein«, sagte Josey und wand sich aus meinen Armen. Sie ging auf Groß zu, baute sich vor ihm auf und legte den Kopf in den Nacken. Ihre roten Haare fielen ihr über den Rücken.
    »Man kann die Schule nicht schwänzen«, sagte sie ernst. »Wer fehlt, ist nicht gut.«
    »Und du möchtest eine gute Schülerin sein.«
    »Hm«, sagte Josey und kam wieder zu mir. Sie umklammerte mein Bein, wie sie es früher immer beim Kinderarzt getan hatte, legte ihren Kopf an meine Hüfte und sah Groß an. »Meine Mama und ich haben keinen Papa. Mein Papa ist nämlich tot. Und Mamas Papa auch. Und meine Schwester ist auch schon lange tot. Länger, als ich lebe.«
    Da war es. Es traf mich mitten ins Herz, rauschte hindurch und hinterließ einen Riss von der Größe einer Gletscherspalte.
    Ich bückte mich und küsste sie auf den Scheitel. Meine Augen klebten an Groß.
    »Wir bleiben zusammen«, sagte ich. »Ich werde immer bei dir bleiben, okay?«
    »Ja«, sagte Josey. »Ein Kind muss bei seiner Mama sein.«
    »Gehen Sie«, sagte ich zu Groß. Der nickte, und dann gingen sie, und ich saß in meiner Wohnung wie eine Gefangene. Ich traute mich nicht aus dem Haus. Ich hatte Angst um Josey, und das erste Mal seit Jahren wünschte ich mir, Kai wäre bei mir. Er war so viele Jahre mein Fels in der Brandung gewesen, der Mensch, der mich stützte, wenn ich zusammenbrach. Der
Mensch, der mich auffing und wärmte, als die Welt um mich herum zu einer Eiswüste erstarrte.
     
    Als Johanna entführt worden war, brachte ich tagelang in einem eiskalten Nebel aus Beruhigungsmitteln und Alkohol zu. Ich wollte nur weg aus meinem Leben. Ich wollte nicht tatenlos herumsitzen, abwechselnd auf die Digitalanzeigen von Uhren, Handys und Stereoanlagen starren und mich fragen, wann die Entführer sich melden würden, wann die Geldübergabe wäre, wo sie wäre, wann meine Tochter zurückkäme. Und vor allem wollte ich mich nicht ständig fragen, ob sie überhaupt zurückkäme. Es hat so viele Kindesentführungen gegeben und so viele, bei denen die Kinder nicht überlebten. Das Wissen hängt wie ein Damoklesschwert über einem. In jeder wachen, bewussten Sekunde fragte ich mich, ob Johanna noch lebte. Selbst wenn man, wie wir damals, ein Lebenszeichen erhält, fragte ich mich schon fünf Minuten später, ob sie immer noch lebte oder ob die Entführer nur gewartet hatten bis zu diesem Telefonat, um danach meine Tochter umzubringen, das Geld zu nehmen und zu verschwinden. Anderthalb Stunden vor ihrem Tod sprach ich ein letztes Mal mit ihr. Sie war am Telefon, und sie hat geweint. Sie hat gebettelt, wir sollten sie nach Hause holen. Ihr sei kalt, sie habe Angst. Ich versuchte, sie zu beruhigen und sagte ihr, sie solle ihr Asthmaspray aus der Manteltasche nehmen. Sie konnte nicht mehr antworten. Die Leitung war tot.
    Sie haben das Geld genommen. Zwei Millionen Dollar, keine D-Mark, keine nummerierten Scheine. Das verlangten sie, und David Plotzer hat bezahlt. Nicht wir. Oh, ja, sie waren sehr gut organisiert und hatten alles bedacht, nur nicht, dass meine Tochter Asthma hatte. Nur nicht, dass sie Kinder verwechseln konnten. Kaltblütig haben sie meine tote Tochter im Stadtpark abgelegt. Unter einer Gruppe hochgewachsener Ulmen, deren schlanke, kahle Äste anklagend in den grauen Himmel ragten. Sie war an einem Asthmaanfall gestorben. Das ergab die Obduktion,
aber das hatte mir auch schon ihr Anblick erzählt. Es gab keine Spuren, keine Hinweise. So wie es auch keine Ankündigung, keine Vorzeichen für diese Katastrophe in meinem Leben gegeben hatte. Sie war lautlos und heimtückisch über mich hergefallen wie ein gedungener Killer in einer abgelegenen Gasse.
    Kai, meine große Liebe, stand bis zu dem Moment zu mir, in dem er selbst zusammenbrach. Das geschah beim Anblick unserer toten Tochter. Ich habe nie wieder jemanden so verzweifelt weinen gehört. Während ich selbst

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