Im Zeichen der Angst Roman
lassen, dass ich ihn verführen wollte.
Er fuhr noch in der Nacht nach Hause, weil er nicht wollte, dass Josey ihn am nächsten Morgen in meinem Bett fand. Das war seine offizielle Version. Doch nach wie vor glaube ich,
dass sein Weggehen in jener Nacht etwas mit meinen Fragen zu tun hatte. Ich hatte ihn nach seiner Familie gefragt, woher sie kam und was sie gemacht hatte, bevor sie nach Hamburg gekommen war. Sie seien Vertriebene, hatte er geantwortet. Niemand wusste besser als ich, dass das nur für seine Mutter galt, nicht jedoch für seinen Vater. Ich fragte nicht weiter, und kurz darauf ging er.
Ich habe ihn danach nicht mehr gesehen. Er rief mich an, schickte mir prächtige Blumensträuße und später Geschenke zu Weihnachten und zu meinem Geburtstag. Ich schickte alles zurück.
Ich konnte mir nicht vorstellen, mit einem Mann glücklich zu sein, der mich allein durch seine Gegenwart ständig an den Tod meiner Tochter erinnern würde. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, mit einem Mann zusammen zu sein, der für seine bedauernswerte Tochter keine andere Lösung gefunden hatte, als sie in die Schweiz auf ein vornehmes Internat zu geben. Seine Tochter hätte ihn mehr gebraucht als jeden anderen Menschen, nachdem sich ihre Mutter umgebracht hatte. Sie war sieben Jahre alt. Nun gut, er bezahlte einen Psychiater und später einen Klinikaufenthalt. Doch letztendlich ließ er sie allein, wie mich meine Mutter in meinen schwersten Stunden allein gelassen hatte.
Ich sah Davids Profil mit der hohen Stirn, in die die dunklen Haare fielen, wenn er den Kopf bewegte. In den letzten Jahren war sein Gesicht kantiger und etwas strenger geworden. Doch es stand ihm hervorragend, älter zu werden.
Er spürte wohl meinen Blick und sah zu mir nach hinten. Das Lächeln legte eine charmante Phalanx von Falten um seine braunen Augen.
»Alles okay?«, fragte er.
»Ja«, sagte ich und fühlte mich ertappt.
Er drehte den Kopf zurück.
Ich sprach ein paar Tage nach jener Nacht mit Claus über David. Wir saßen in einer Bar und tranken Caipirinhas. Claus meinte, ich sollte nehmen, was ich kriegen kann und mich amüsieren. Doch das ging mit David nicht. Früher oder später würde ich mich trotz aller Vorbehalte in ihn verlieben. Er wusste zu genau, wie man Frauen mit Leichtigkeit, Charme und Großzügigkeit umgarnte.
Im Augenblick allergrößter Weisheit, etwa nach dem dritten Caipirinha, erklärte mir Claus dann jedoch, die Liebe habe eine Menge mit Bahnhöfen gemein. Manchmal fuhr ein Zug nur durch, und man erhaschte einen flüchtigen Blick auf einen Menschen hinter einem Fenster. Manchmal hielt der Zug für einen kurzen Moment, jemand stieg aus, jemand anderes ein, und dann fuhr er weiter, und man winkte nur traurig hinterher. Doch manchmal käme er nur für einen selbst, und dann wäre es klüger, bereit zu sein. Der Zug lief ein, hielt, und wenn man alle Sinne beisammen hätte, ging man für den Rest seines Lebens an Bord.
Was Claus mir eigentlich sagen wollte, war, dass sich Menschen manchmal nur für einen Augenblick begegneten und dass das gut war und man kein schlechtes Gewissen haben sollte, wenn man diesen flüchtigen Moment genoss und nicht mehr daraus wurde.
Claus hielt mich in den letzten zwei Jahren über David auf dem Laufenden, und so wusste ich, dass er ein paar Kurzzeitfreundinnen gehabt hatte.
»Hinter uns ist ein Wagen«, sagte Hazel in die Stille.
Ich schreckte aus meinen Gedanken.
»Na und?«, fragte ich.
»Er war schon auf der Elbchaussee hinter uns. Dann war er eine Weile weg. Seitdem wir bei Ihnen losgefahren sind, ist er wieder da.«
»Das können Sie in der Dunkelheit sehen?«
Hazel grinste im Rückspiegel. »Kann ich.«
Wir fuhren den Zubringer zur Autobahn nach Lübeck entlang. Ich kannte den Weg. Ich fuhr ihn immer mit Josey, wenn wir im Sommer nach Timmendorf an die Ostssee zum Baden wollten.
Hazel bog zu McDonalds ein. Wir bestellten jeder ein Menü aus Big Mac, Cola und Pommes.
»Vanille Coke, Cherry oder normal?«, fragte Hazel.
»Vanille«, sagte ich.
»Ich auch«, sagte David.
Kaum hielten wir die drei Tüten in den Händen, stank der ganze Wagen nach Bratenfett.
Hazel und David steckten ihre Coladosen in die Halterung am Armaturenbrett, ich steckte meine in die hinter der Mittelkonsole.
Der BMW besaß ein Automatikgetriebe, und so hatte Hazel kein Problem, den Big Mac mit einer Hand zu halten und in sich hineinzuschlingen.
»Er ist immer noch da«, sagte Hazel, als
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