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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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waren schmutzig, und Nässe kroch durch die Nähte und das dünne Leder. Ich wartete vielleicht eine Minute, dann zwei. Meine Füße wurden klamm und kalt. Nach drei Minuten stand ich auf und stieg von einem Bein aufs andere.
    Dann endlich sah ich sie. Als Erstes rannte der Hund auf dem Weg auf mich zu. Dann kamen sie beide angeschlendert, die weichen Gesichter gerötet vom Spielen. Josey sah mich schon von Weitem zerknirscht an, den Mund zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Sie trug die Vase mit beiden Händen vor sich her.

    Der Junge übernahm das Reden.
    »Ich hab sie gefragt, ob wir Verstecken spielen wollen. Sie wollte erst nicht. Doch dann hab ich noch mal gefragt.«
    »Schon gut«, sagte ich und setzte Josey die Mütze auf, die ich vom Brunnenrand mitgenommen hatte. Ich strich ihr das widerspenstige Haar aus der Stirn und unter den Mützenrand. Ihr Gesicht hellte sich auf, als hätte diese Geste in ihrem Inneren eine Lampe eingeschaltet.
    »Mein Papa sagt, meine Mama ist wieder komisch, wenn sie sich so aufregt, obwohl gar nichts los ist«, sagte der Junge. »Ich soll dann immer in mein Zimmer gehen.« Der Junge sah mit blauen Augen zu mir hoch. »Sind Sie auch gerade komisch?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Meine Schwester war mal weg«, sagte Josey. »Und dann war sie tot.«
    Mein Herz schlug zu laut. Sie war ein kleines Mädchen, aber sie schien auf eine seltsame Weise mehr über meine Lebenswunden zu wissen, als ich ahnte. Ich lächelte tapfer, doch mir war zum Heulen.

22
    Als ich in der Comeniusschule die ersten Jahre meiner Schulzeit in muffigen Klassenzimmern auf von Schülergenerationen durchgesessenen Holzbänken absaß, über denen immer eine Staubschicht zu liegen schien, selbst wenn die Putzfrauen nur Minuten vor Unterrichtsbeginn den Raum verlassen hatten, schien mir der Schuldirektor Cornelius Rauh so alt wie Methusalem und so riesig und behaart wie ein Grizzly. Im Verlauf meiner acht Jahre an dieser Schule wuchs ich ihm um etwa einen halben Meter entgegen, und seltsamerweise schien er mir in der gleichen Zeit um dasselbe Maß entgegenzuschrumpfen. Wie es in der DDR üblich war, wechselte ich mit fünfzehn aufs Gymnasium.
Zu der Zeit waren wir dann gleich groß, und er schien mir auch längst nicht mehr so alt zu sein, wenn auch noch immer steinalt und für meinen Geschmack viel zu behaart.
    In meiner Schulzeit habe ich Cornelius Rauh nie anders gesehen als mit bis zu den Kieferknochen wuchernden Koteletten und Tag für Tag in einem hellgrauen Anzug, dessen Jackett um seine beleibte Taille spannte und an dessen Revers das SED-Parteiabzeichen steckte. Unter uns Schülern kursierte das Gerücht, es gebe eine Schneiderpuppe mit seinen Maßen, und immer wenn er einen neuen Anzug benötigte, genügte ein Anruf der Schulsekretärin bei seinem Schneider, damit der ihm einen neuen nähte.
     
    An diesem Nachmittag betrat er die kleine Kapelle auf dem Friedhof um Punkt halb zwei als ein gebeugter Mann, der weder Haupthaar noch Koteletten besaß und dessen dunkelblauer Anzug um den ausgemergelten Körper schlotterte. Sein hölzerner Gehstock schlug auf den Fliesen einen dumpfen Takt, während das »Ave Maria« bereits durch den Raum klang, so dass sich die eingefundenen Trauergäste neugierig nach dem Störenfried umsahen.
    Er bemerkte es nicht. Seine Augen waren nach unten gerichtet, als müsste er sich auf jeden Schritt konzentrieren. Er zog das linke Bein leicht nach, und seine Schuhe hinterließen schmutzig feuchte Abdrücke auf dem rötlichen Terrazzoboden.
    Pastor Liebold, der an die siebzig Jahre alt war und bereits im Pfarramt arbeitete, als ich konfirmiert wurde, hielt eine schlichte Rede, in der er meine Mutter als eine Frau schilderte, der die Familie, ihr Beruf und ihre Freunde über alles gegangen waren und die trotz einiger Beschwerlichkeiten ihren Platz im Leben gefunden hatte. Er verlor kein Wort darüber, dass meine Mutter ermordet worden war, und ich war ihm dafür dankbar, denn Josey saß neben mir und lauschte ihm so gebannt, als hörte sie ein weiteres Kapitel aus »Tom Sawyers Abenteuern«.

    Als ich nach den Feierlichkeiten zu Cornelius Rauh in die Bank trat, um ihn zu begrüßen, klammerte sich seine zitternde Hand an den silbernen Entenkopf des Gehstocks, mit dessen Hilfe er sich mühsam und leise stöhnend aufrichtete.
    »Es tut mir leid für deine Mutter und deinen Vater«, sagte er und sah mich forschend an. »Es hätte nicht so kommen müssen.«
    »Danke«, sagte ich.

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