Im Zeichen der Angst Roman
Christine Metternich erzählt hatten.
Madeleine war 61, Rebecca war gerade 42 geworden. Als ich mich zu ihr beugte, bemerkte ich, dass sie dasselbe feine Gesicht hatte wie ihre Mutter, mit heller Haut, ein paar vom Sommer zurückgebliebenen Sommersprossen auf der schmalen Nase und einem ähnlich breiten, sinnlichen Mund. Er war eine Spur zu groß für dieses Gesicht und mit einem Zug von Härte umgeben, der seltsam unpassend schien. Sie hielt ihre Hände im Schoß gefaltet und bewegte sie auch dann nicht, als ich sie umarmte. Vielmehr lehnte sie sich zurück und erstarrte, und als ich ihre Abwehr spürte, ließ ich sie los und stellte ihnen Josey vor, die das Ganze schweigend, wenn auch mit weit aufgerissenen Augen beobachtet hatte. Ich erklärte Josey nicht, wer Madeleine wirklich war. Es erschien mir an diesem Ort und zu dieser Gelegenheit zu kompliziert, und so sagte ich ihr, sie sei eine gute Freundin, die ich lange nicht gesehen hatte.
Als sich der Trauerzug in Bewegung setzte, drückte Madeleine kurz meinen Arm, und dann ging sie neben mir und Josey, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Es war seltsam, meine Halbschwester neben mir zu wissen, und ab und zu warf ich einen verstohlenen Blick auf sie, doch sie schaute starr auf den Weg. Beide Frauen hatten die gleichen breiten Hände mit eingerissenen Nägeln, die einen merkwürdigen Gegensatz zu den feinen Gesichtszügen bildeten.
»Meine Mutter wird neben meinem Vater bestattet«, sagte ich leise.
»Das ist in Ordnung«, flüsterte Madeleine. »Mach dir keine Sorgen. Ich war heute schon hier und hab mich beim Friedhofsgärtner erkundigt, wo sie beerdigt wird.«
Ich warf ihr kurz einen Blick von der Seite zu und fragte
mich, ob sie mich wohl schreiend über den Friedhof hatte laufen sehen.
Sie erwiderte meinen Blick und lächelte. »Ja«, sagte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Ich hab dich gesehen und ich hab dich rufen gehört, auch wenn ich da noch nicht wusste, dass du es bist. Ich dachte, du wärst völlig durchgeknallt.«
»Meine Tochter war weg. Eben noch war sie da, und dann lag nur noch ihre Mütze auf dem Brunnenrand. Ich dachte, ich dreh durch.«
»Hm«, sage sie. »Ich wäre auch durchgedreht.«
»Ich hab dich gar nicht gesehen«, sagte ich.
Sie zuckte mit den Achseln.
Ursprünglich hatte ich am Morgen vorgehabt, auch das Grab meines Vaters zu besuchen. Doch dann hatte ich es in der Aufregung um Josey vergessen, und nun schaute ich auf sein mit Moos gedecktes Grab, den schlichten schwarzen Marmorstein und auf das schwarze Loch daneben, in das gleich die Urne mit der Asche meiner Mutter kam.
Ich sah zu Pastor Liebold, der vor dem Grab stand und ein Gebet sprach, bevor zwei Friedhofswärter die Urne in die Erde hinabließen. »Erde zu Erde, Asche zu Asche und Staub zu Staub«, sagte er und warf dreimal Erde auf die Urne hinab.
»Das ist nicht diese zur Adoption freigegebene Tochter, oder?«, flüsterte es plötzlich von hinten an meinem linken Ohr, während Madeleine rechts neben mir stand.
»Doch«, sagte ich und drehte mich zu Rena. »Woher weißt du das?«
Meine Schwiegermutter legte den Zeigefinger auf die Lippen.
Ich hasste es. Sie bestimmte die Regeln, sie allein, und wehe dem, der sich nicht an diese Regeln hielt.
Ich hatte keine Zeit mehr, mich über Rena aufzuregen, denn zwischen ein paar Bäumen sah ich Mankiewisc und Groß suchend den Weg heraufeilen.
Als sie die Trauergesellschaft entdeckten, blieben sie stehen.
Hinter ihnen liefen drei Männer in offenen, wehenden Mänteln den Weg herauf. Ich erkannte Claus, Hazel und David.
Groß nickte mir zu, und ich nickte zurück.
Ich ahnte, dass ihr Auftauchen wieder einmal nichts Gutes bedeutete.
Claus, David und Hazel gingen an den beiden Kommissaren vorbei.
Mankiewisc beugte sich zu Groß und flüsterte ihm etwas zu. Groß sah den drei Männern nach.
Hazel blieb am Rand der Trauergesellschaft stehen.
Claus und David stellten sich fast demonstrativ neben Josey und mich. »Tut mir leid«, flüsterte David über ihren Kopf hinweg. »Stau.« Madeleines Finger krallten sich auf der anderen Seite in meinen Arm, und ich sah sie erstaunt an.
»Unverschämt«, hörte ich Rena in meinem Rücken.
Ich trat mit Josey an die kleine Grabstelle, nahm für mich und meine Tochter eine weiße Rose aus dem dafür bereitstehenden Strauß und warf sie und eine Handvoll Erde auf die Urne.
Josey tat es mir nach.
Ich drehte mich um und ging zu David, der Josey wie
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