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Im Zeichen der Angst Roman

Titel: Im Zeichen der Angst Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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auf eine Erwiderung. Ich ließ ihn einfach stehen und verließ die Küche. Er folgte mir nicht.

21
    Ich hatte meinen Schwiegervater Martin am Telefon, als ich am Morgen der Beisetzung meiner Mutter in Solthaven anrief. Ich hatte die Autobahn in Lüneburg verlassen und fuhr durch sich kilometerlang hinziehende Mischwälder. In der Nacht hatte es geschneit, doch jetzt brach sich in der Nässe der Straße eine blasse, tief stehende Novembersonne, und nur im Schatten der Wälder überzog eine dünne Schneeschicht die Erde noch wie feine Gaze.
    Josey lag hinten quer über den Sitzen und schlief, den Kopf auf ihrem Rucksack und im Arm ihre Schmusekatze Sandy.
    »Steinfeld«, sagte er, und ich sagte ebenfalls »Steinfeld.«
    Dann schwiegen wir.
    »Lange nichts von dir gehört«, sagte Martin schließlich.
    »Mag sein«, erwiderte ich. »Ich bin gegen zwölf mit Josephine in Solthaven. Vielleicht möchtet ihr sie sehen.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Martin. »Ich muss Rena fragen.«
    Er hielt den Hörer zu, doch ich hörte ihn rufen.
    »Rena? Clara ist am Telefon. Sie will um zwölf hier sein und fragt, ob wir Josephine sehen möchten.«
    »Nein«, hallte es gedämpft an mein Ohr. »Es reicht, wenn wir sie auf dem Friedhof treffen. Ich will sie nicht in meinem Haus haben.«
    »Rena«, sagte Martin. »Wir haben eine Enkelin.«
    Ich hörte Rena aufschluchzen. Ich kannte das. So begann sie stets, aus unser aller Leben ein Drama zu machen, in dem sie entweder gloriose Heldin oder bedauernswertes Opfer war.
    »Ja, und was sollen die Leute denken? Eine Mörderin in meinem Haus?«
     
    Ihr Argument entbehrte nicht einer gewissen kleinstädtischen Logik, doch wer Rena kannte, wusste, dass das vorgeschoben
war. In Wahrheit ging es nur um eines: Ich war die Frau, die ihr ihr Heiligtum, ihren Sohn, genommen hatte. Seitdem Kai und ich noch während der Schulzeit ein Liebespaar geworden waren, hatte mich seine Mutter mit ihrer grenzenlosen Eifersucht verfolgt.
    Dabei war Kai keineswegs ein Muttersöhnchen. Ihre Egozentrik nervte ihn mindestens ebenso wie mich, und er hatte meinetwegen zahllose Streite und Kämpfe mit ihr ausgefochten.
    Es war eine gemeinsame Entscheidung gewesen, 1990 nach Hamburg zu ziehen, und einer unserer Gründe war auch, eine möglichst große Distanz zwischen uns und seiner Mutter zu schaffen.
    Als meine Tochter entführt wurde, war Rena die Erste, die mir die Schuld gab, weil ich angeblich Karriere machte, statt mich um mein Kind zu kümmern. Als Johanna beerdigt wurde, warf sie sich in der Kapelle über den Sarg und schrie, nicht ich. Ich will ihr nicht absprechen, dass Johannas Tod sie zutiefst traf, doch diese Auftritte waren weniger eine Äußerung ihres Schmerzes als vielmehr Zeugnis ihrer Selbstbezogenheit.
    Als ihr Sohn mich verließ, fällte sie ihr endgültiges Urteil über mich. Ich wäre ebenso unfähig zur Liebe wie einst meine Mutter und unfähig, ihrem Sohn ein behagliches Zuhause zu schenken. Ihren letzten großen Auftritt leistete sie sich an Kais Grab in Joseys Beisein, als sie mich vor allen anderen Trauergästen lauthals in der Kapelle beschimpfte, ich sei schuld am Tod ihres Sohnes.
     
    Ich hörte mir die Auseinandersetzung nicht länger an und legte auf.
    Manchmal änderten sich die Umstände, doch die Menschen blieben dieselben. Manchmal war man gezwungen, das zu akzeptieren, auch wenn man sich wünschte, man könnte es irgendwie ändern.

    Auf dem Weg zu unserem Hotel machte ich einen Umweg, um mit Josey Kais Grab und das Grab meines Vaters zu besuchen.
    Das erste und letzte Mal hatte ich das Grab meines Mannes während seiner Beerdigung gesehen. Seither war ich weder in Solthaven noch an seinem Grab gewesen. Das Haus meiner Eltern hatte ich nach dem Tod meines Vaters verkauft, und da die meisten meiner einstigen Schulfreunde studiert hatten und nicht mehr in der Stadt lebten, gab es keinen Grund für mich hierherzukommen.
    Ich parkte den Wagen vor dem Eingang und weckte Josey mit einem Kuss auf die Stirn. Sie blinzelte und brauchte einen Moment, bis sie verstand, dass wir angekommen waren. Sie streckte die kleinen Gliedmaßen, gähnte herzhaft und rieb sich die Augen, während ein glückliches Lächeln langsam ihr Gesicht überzog. Dann sprang sie mit einer Lebendigkeit und Fröhlichkeit aus dem Auto, wie es nur Kinder können. Ich half ihr in den Parka, schloss den Reißverschluss und rückte ihr die blaue Mütze auf dem Kopf zurecht, damit die Ohren geschützt waren.
    »Hast du die

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