Im Zeichen der blauen Flamme
Wellenmuster. Das lackschwarze Haar fiel über die Schultern, über die Hüften und bildete eine schimmernde Fläche um ihre Knie. Obgleich sie einen seidenen Fächer vor ihr Gesicht hielt, erkannte sie Karas. Sein Atem stockte, und er begann, fürchterlich zu zittern. In seiner Erregung vergaà er die höfischen Sitten und grüÃte, indem er die Hand zuerst an seine Stirn, dann an sein hämmerndes Herz legte.
Ama no Uzume senkte den Fächer. Ihre Augen blinzelten schalkhaft. Ein Wink - die Zofe glitt aus dem Zimmer.
»Komm, setz dich zu mir!« Ihr Fächer war wie ein Schmetterling, der vor ihrem lächelnden Gesicht hin und her schaukelte.
Er lieà sich wortlos auf die Matte nieder.
»Hörst du!«, sprach sie. »Der Regen hat aufgehört. Bald wird der Frühlingsmond scheinen. Ich habe dich kommen lassen, weil ich mich einsam fühle und keinen Schlaf finde.«
Auf einem winzigen Tischchen standen ein Keramikkrug und kleine Schalen. Sie schenkte ihm Reiswein ein; er beugte sich vor, um das Schälchen entgegenzunehmen, und ihre Finger streiften sich. Sie trank ihm zu und fuhr mit der Zunge über ihre roten Lippen.
»Die Beziehungen zwischen uns sollen herzlich sein. Ich möchte mehr über dein Volk wissen, aber es gibt Fragen, die ich nicht in der Ãffentlichkeit stellen möchte.« Sie lächelte bezaubernd. »Sag mir, was tut eine Ainu-Frau, wenn sie einen Mann begehrt?«
Die unverblümte Frage verwirrte ihn. Worauf wollte sie hinaus? Doch er antwortete gefügig: »Es gibt eine alte Sitte bei uns, derzufolge einmal im Jahr, bei der Sommer-Tagundnachtgleiche, alle unverheirateten Männer vor Sonnenuntergang das Dorf verlassen und sich im Wald verstecken. Sobald es dunkelt, machen sich die Mädchen auf die Suche nach ihnen. In einem Wettlauf verfolgen die Mädchen die fliehenden Jünglinge. Haben sie einen eingeholt, werfen sie ihren Gürtel um ihn. In der Nacht teilt dann der Jüngling mit dem Mädchen das Lager.«
Sie lächelte belustigt. »Und was geschieht, wenn der Mann sich weigert?«
Karas schüttelte den Kopf. »Das ist noch niemals vorgekommen. Eine Weigerung würde das Mädchen zutiefst kränken und dem Jüngling Unglück bringen.«
Da lieà sie ihr perlendes Lachen hören. »Ich scheue davor zurück, mir die FüÃe an Steinen und Dornen zu verletzen, und ziehe es vor, den Mann, den ich begehre, in meinem Gemach zu empfangen. Aber vielleicht kann ich mich trotzdem ein wenig nach der Sitte bei dir richten â¦Â« Blitzschnell lockerte sie ihre Schärpe, warf sie wie eine knisternde Silberschlange um Karasâ Hals und zog ihn lachend zu sich heran. Dunkle Röte überflog Karasâ Gesicht. Sein Herz klopfte zum Zerspringen, während sie ihm ihr blumenzartes Antlitz näherte und mit ihren weichen Lippen die seinen berührte.
»Küss mich!«, hauchte sie. »Oder willst du mich mit einer Abweisung kränken? Gib acht, es könnte dir Unglück bringen!«
Tief in der Nacht fragte er sie, ob sie ihn liebte. Da seufzte sie wie jemand, dem ein Geheimnis entlockt wird, und erwiderte: »Ich liebte dich vom ersten Abend an, da ich dich sah. Meine Lippen blieben stumm, aber ich sprach mit den Augen zu dir.«
»Ich kam als Fremder«, sagte Karas beschämt, »und konnte diese Sprache nicht verstehen.«
»Dafür verstehst du die Sprache des Herzens.« Sie wandte ihr Gesicht ab. »Aber mein Herz spricht nur von Trauer und Wehmut.«
Er streichelte ihr Haar, das wie bläuliches Flusseis im Mondlicht schimmerte.
»Bist du nicht glücklich? Sag mir, was dich bedrückt!«
Sie schüttelte nur stumm den Kopf. Er musste sie überreden, sie bitten. Da sprach sie: »Seine Allerhöchste Majestät hat angeordnet, dass die Hofdamen nach Takeri eingeschifft werden, bevor das Heer die Festung verlässt und zur Ostküste aufbricht.«
Karas erbebte. Ihm war, als dränge ein Eiszapfen in sein Herz. »Was können wir tun?«, stieà er verzweifelt hervor.
Sie lächelte traurig. »Ich bin nur eine Frau und dem königlichen Willen machtlos ausgeliefert. Du aber könntest den Herrscher vielleicht umstimmen â¦Â«
»Ich?«, rief er aus. »Wie meinst du das?«
Er sah ihre Augen wie Gemmen im Dunkeln glitzern.
»Der König«, sprach sie, »ist von Verrätern umgeben. Dir aber vertraut
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