Im Zeichen der gruenen Sonne
an! Plötzlich wurde sie ganz ruhig, sie fühlte diese seltsame Kraft wieder in sich aufsteigen, bis sie ganz davon ausgefüllt war. Und die Kraft gab ihr nicht nur Entschlossenheit, sie gab ihr auch eine Idee …
»Was ist mit den Oasenbewohnern, die werden doch auch von ihm erpresst! Wieso gebt ihr denen nicht eure Kamele? Die Männer könnten auf euren Kamelen Kero-Sin angreifen und euch das Problem vom Hals schaffen!«
»Die Kerle aus der Oase? Das sind doch Moslems! Kein Moslem setzt sich auf eines meiner Kamele! Mit dem Pack will ich nichts zu tun haben! Sie stehlen, lügen und sind feige. Außerdem hat es in der letzten Zeit immer mehr Probleme gegeben, die jungen Leute aus den Oasen hören nämlich mehr und mehr auf diese muslimischen Fanatiker … und die lassen kein gutes Haar an uns, das kannst du mir glauben. Nein, glaub mir, die würden eher uns angreifen als Kero-Sin. Ich gebe meine schönen Kamele doch nicht irgendwelchen aufgehetzten jungen Muslimen. Nein, ohne mich, basta!« Wütend stand der Mönch auf und lief in dem kleinen Zimmer auf und ab.
»Aber wenn’s nun mal keinen anderen Weg gibt?«, versuchte Möhre ihn zu überzeugen.
»Dann zahlen wir halt weiter an Kero-Sin!«
»Denken die anderen Mönche genauso?«
»Wir wollen mit Moslems nichts zu tun haben! Und was dich angeht – sobald du wieder ganz gesund bist, wirst du, so schnell es geht, das Kloster verlassen. Wenn Kero-Sin dich jagt, wollen wir nicht, dass er dich hier bei uns findet. Wir brauchen keinen Ärger!«
Rumms! Der Mönch hatte die Tür knallend ins Schloss fallen lassen. Möhre zog die Beine an den Körper und dachte nach. Sie alle hatten große Angst, das war offensichtlich. Dieser Kero-Sin musste ein übler Zeitgenosse sein. Aber alleine war sie machtlos. Wenn sie in die Oase ging und um Hilfe im Kampf gegen Kero-Sin bat, würden die Oasenbewohner sie fragen, wie sie denn gegen Kero-Sin kämpfen sollten. Zu Recht! Nein, sie brauchte die Kamele der Kopten. Verdammt, warum waren sie bloß so engstirnig! Die Kopten, nicht die Kamele …
Sie schlüpfte wieder aus dem Bett und stieg in ihre Jeans. Die Mönche hatten ihre Kleider gewaschen, und das frische Gefühl auf der Haut gab ihr neuen Schwung und Kraft.
Das kleine Wüstenkloster war so gebaut, dass die weiß gekalkten Mauern des Gebäudes einen quadratischen Innenhof umrahmten. Gegenüber lag die Kapelle mit einem kleinen Glockenturm auf dem Dach.
Möhre verließ das Schlafgebäude und trat auf den Innenhof. Niemand war zu sehen, aber aus der kleinen Kapelle hörte sie Gesänge. Sie sah sich um – links nichts, rechts nichts –, dann huschte sie quer durch den Hof zu der hohen Holzpforte der Kapelle. Durch einen Spalt sah sie ins Innere. Die Messe, die die Mönche feierten, schien ganz anders als die Messen, die Möhre von zu Hause kannte. Zu Hause fanden sich einige meist betagte Kirchenbesucher und ein paar gelangweilte Konfirmationsschüler zusammen, die heimlich in den Bänken Musik vom MP3-Player hörten, um zu der Stimme eines näselnden Pfarrers gegen das Einschlafen zu kämpfen. Hier saßen die Mönche zusammen, schwatzten und lachten; wer singen wollte, der sang, wer beichten wollte, der beichtete, wer Domino spielen wollte, der spielte Domino. Auf einem Altar stand nicht nur das Kruzifix, sondern auch, und das fand Möhre besonders seltsam, ein geschmücktes Straußenei. Aber jetzt hatte Möhre keine Zeit, sich näher damit zu beschäftigen. Niemand beobachtete sie, und das war gut so. Sie blickte sich noch mal im Hof um. Irgendwo musste doch …
Aha, da war eine kleine Treppe, die hinauf zum Glockenturm führte. Möhre sprang die Stufen hoch. Sie war schnell oben und stand vor der großen Messingglocke. Möhre spuckte in die Hände und zog an dem Seil, das am Klöppel befestigt war. Die Glocke zitterte. Möhre zog noch mal. Die Glocke schwang. Möhre zog mit beiden Händen, und der Klöppel hämmerte dröhnend gegen das Metall. Der Glockenschlag war ohrenbetäubend, niemand im Kloster konnte es überhören. Die Hände in die Hüften gestützt, sah Möhre vom Turm aus zu, wie sich unter ihr der Hof mit alarmierten Mönchen füllte. Aufgeregt stürzten sie aus der Kapelle und versuchten zu erkennen, wer die Glocke läutete. Die Sonne blendete sie, und auch wenn sie versuchten, mit der Hand die Augen zu schützen, konnten sie dort oben im Glockenturm doch nur einen von Sonnenstrahlen eingerahmten Schatten sehen.
»Hört, was ich euch zu sagen
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