Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
einfach ihr Wille.“
„Warum erfindest du Ausreden für sie? Wenn sie wahre Götter sind, brauchen sie deine Entschuldigungen nicht.“
Filip spürte, wie der letzte Rest seines alten Glaubens in ihm verlosch, doch nichts trat an seine Stelle. „Ich kann dich nicht verehren.“
Pferd schnaubte. „Ich will deine Verehrung nicht. Ich will deine Ehre und deinen Respekt. Ich will, dass du ihn jedem Menschen und jeder Kreatur zollst, der du begegnest, aber besonders mir. Ich will, dass du meine Weisheit in deinem Herzen trägst oder in deinem Kopf oder womit du sonst deine Entscheidungen triffst, sodass du sie findest, wenn du sie brauchst.“ Er wich zurück. „Das ist alles. Wenn du das akzeptieren kannst, wenn du mich als deinen Geist annehmen kannst, dann steh auf.“
Als letzten Versuch des Widerstandes vergrub Filip die Finger in dem sandigen Boden.
Aber er wollte über den Abgrund springen, wollte nicht länger nur an seinem Rand stehen und darüber hinwegspähen oder sehnsüchtig in seine felsige Tiefe starren. Ohne seinen Geist war er allein. Ohne Alanka war er verloren.
Er stellte die Hände auf den Boden und verlagerte das Gewicht auf seinen Fuß. Dann stand er mit ausgebreiteten Armen auf – um sein Gleichgewicht zu halten und um zu empfangen, was der Geist ihm bescheren würde. „Ich bin bereit.“
„Schließ die Augen“, sagte Pferd sanft.
Filip gehorchte und spürte dann, wie er schwankte. Erstreckte seine Arme weiter aus, um das Gleichgewicht zu halten, aber er war zu schnell. Er strauchelte und fiel nach vorn.
Eine weiche warme Gestalt fing ihn rechtzeitig auf. Er schlang seinen Arm um den Hals von Pferd und vergrub die Hand in seiner langen rauen Mähne. Laut weinte er um seine verlorene Heimat und seine Unfähigkeit, die Zeit zurückzudrehen.
Als sein Atem wieder tief und regelmäßig ging, sprach Pferd zu ihm.
„Filip, die Geister haben dir einen Ehrenplatz in ihren Hoffnungen gewährt. Wir erwarten viel von dir. Im Gegenzug schenke ich dir die Gabe, in den Gedanken anderer Kreaturen zu leben, den Boden unter ihren Füßen zu spüren, den Wind in ihren Federn, die Wellen auf ihren Schuppen. Mit dieser Gabe sollst du dich mit Land, Luft und Wasser verbunden fühlen wie nur wenige andere vor dir.“ Er hielt inne. „Ich möchte sagen, dass niemand diese Gabe mehr braucht als du.“
Eine plötzliche Wärme durchflutete Filip und raubte ihm den Atem. In seinem Blut pulsierten Freiheit und Macht und reinigten ihn mit jedem Herzschlag.
„Wir werden immer bei dir ein“, flüsterte Pferd. „Vergiss das nie.“
Er war verschwunden. Filip sank ins Gras hinab und rollte sich auf den Rücken. Er starrte in den blauen Himmel und ließ seine Gedanken den Wolken hinterherschweifen.
Über ihm kreiste ein Geier. Seine schwarz-weißen Flügel fingen die Brise auf wie Segel. Filip schloss die Augen und erweiterte sein Bewusstsein für die Kreatur.
Es war heiß und hell dort oben und still bis auf das leise Pfeifen des Windes. Der Geier war hungrig. Die Federn an seinen Flügelspitzen kräuselten sich und verrieten ihm die kleinste Veränderung in der Luft. Die Welt unter ihm war klein und bedeutungslos, wie eine Kriegskarte ohne Soldaten.
Ist das Ding tot? , fragte der Geier sich. Hat sich eben noch bewegt. Will absinken, um es anzusehen.
Filip sah sich selbst dabei zu, wie er mit dem Arm wedelte, um zu zeigen, dass er am Leben war.
Er löste die Verbindung und sah von unten zu, wie der Geier davonsegelte.
Die Sonne erhob sich über die Baumspitzen, und ihm wurde klar, dass er verbrennen würde, wenn er sich nicht anzog und in den Schatten zurückkehrte. Und doch blieb er liegen und drehte nur seinen Kopf zur Seite, um die Augen zu schützen.
Ein Käfer krabbelte neben ihm durchs Gras, und Filip fragte sich, wie es war, sechs Beine zu haben statt nur eins. Er streckte sein Bewusstsein vorsichtig nach dem Insekt aus.
Grün, überall, riesengroß. Die Welt um den Käfer herum brummte vor Leben, von dem Filip nie etwas gewusst hatte. Ameisen, so groß wie einer seiner sechs Füße. Milben, die noch kleiner waren. Er stolperte durch den Wald aus Grashalmen der Duftspur eines nahen Weibchens nach. Es wartete hinter dem nächsten Halm, bereit für ihn.
Filip zog sich aus dem Bewusstsein des Käfers zurück – ob aus Ekel oder Anstand, da war er sich nicht sicher. Mit schmerzendem Kopf richtete er sich auf.
Er zog sich an, die Prothese zuerst. Sie erinnerte ihn an das Angebot von Pferd,
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