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Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)

Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)

Titel: Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeri Smith-Ready
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blauen Uniformen, höchstens ein paar Jahre älter als Filip, eilten über einen Nebenplatz rechts von ihm, um das Gebäude für eine weitere Sitzung vorzubereiten.
    Er entdeckte den ersten Senator, der einige Hundert Schritte entfernt die Straße vom Marktplatz her überquerte. Er war in die Goldrutenrobe gekleidet, die sein Amt vorsah, und trug eine rote Schärpe. In diesem Aufzug wirkte er, als wäre er Ende fünfzig. Er benutzte einen hölzernen Stock und zog sein linkes Bein nach.
    Filip lehnte mit dem Rücken an der Mauer, sein halbes Bein vor ihm ausgestreckt, den leeren Teil seines Hosenbeins unter den Stummel gesteckt, damit niemand bezweifeln konnte, wasihm widerfahren war.
    Bei der Vorstellung, dass seine Landsleute ihn so sehen würden, bekam er einen trockenen Mund. Sie würden sich wünschen, er hätte sich versteckt gehalten – wie ein anständiger Mann. Nein, ein anständiger Mann wäre in der Schlacht gestorben oder hätte seinem Leben selbst ein Ende bereitet, statt so weiterzumachen.
    Der Senator humpelte über den Platz. Sein Weg würde ihn an Filip vorbeiführen. Dieser Mann verstand sicherlich, was es bedeutete, versehrt zu sein. Aus der Nähe betrachtet, sah er eher aus wie sechzig oder fünfundsechzig. Die Falten in seinem Gesicht glichen einer Karte der Region der vier Flüsse. Die Metallspitze seines Stocks klickte auf den Steinen, als er sich dem Gebäude näherte. Dann sah Filip einen blauen Flicken auf der Schulter des Mannes, der dafür stand, dass dieser Mann seine Wunden in einer siegreichen Schlacht davongetragen hatte. Er lehnte sich um den kleinen Busch herum, um ihn besser sehen zu können.
    Der Senator blieb am Fuß der Treppe stehen und sah Filip direkt an, der zurückstarrte. Einen Augenblick lang waren sie Kameraden.
    Plötzlich begann der alte Mann zu brüllen und seinen Stock nach ihm zu schwenken. Erschrocken wich Filip zurück. Nachdem er seinen Freunden eingebläut hatte, die Senatoren niemals anzusehen, hatte er selbst diese Regel missachtet. Schnell senkte er den Blick auf die Pflastersteine vor ihm.
    „Ich sollte dich verhaften lassen.“ Das Klicken kam näher und wurde lauter. „Es ist schlimm genug, dass wir menschlichen Abschaum wie dich jeden zehnten Tag ertragen müssen, aber uns von so etwas ansehen, ja gar verurteilen zu lassen …“
    „Vergebt mir“, flüsterte Filip. „Ich wollte nicht …“
    „Wag es nicht, mit mir zu sprechen!“ Der Stock zischte durch die Luft und weniger als eine Handbreit an Filips Schulter vorbei. „Wäre es nicht gegen das Gesetz, dich selbst zu verprügeln, ich würde dir den Schädel einschlagen. Glaubst du, ich bin zu alt und gebrechlich dazu?“
    Filip zitterte vor Wut darüber, um die Erlaubnis betteln zu müssen, betteln zu dürfen. Er stellte sich vor, wie überrascht der Senator dreinblicken würde, wenn er nach dem Stock griffe, ihn umdrehte und dem alten Mann in den Bauch rammte. Dann würde er schon sehen, dass noch etwas von einem Krieger in ihm steckte.
    Seine Vorstellungskraft musste ihm reichen. Er behielt seinen Blick auf den Boden gerichtet. Eine Ameise lief über die Mörtelfuge zwischen den flachen Steinen.
    „Spaneas, was ist?“ Ein weiterer Mann näherte sich leichten Schrittes – noch ein Senator. Filip erkannte ihn an seinem gelben Saum, dem einzigen Teil, den er anzusehen wagte.
    Spaneas stieß einen empörten Laut aus. „Dieses Gesocks hatte die Dreistigkeit, mir ins Gesicht zu sehen, sogar mit mir zu sprechen. Wir sollten die Polizei rufen.“
    „Später. Kommt, der Vorsitzende will vor der Versammlung mit Euch sprechen.“ Er warf eine Münze in Filips Schüssel, ehe er den älteren Mann fortführte. Filip war so überrascht, dass er vergaß, dankbar zu nicken.
    Während der Morgen voranschritt, kamen weitere Senatoren an Filip vorbei und ignorierten ihn in ihrer Eile, das Gebäude zu erreichen, ehe die Versammlung begann. Auch wenn er ihnen nicht in die Augen sah, spürte er doch ihre Gleichgültigkeit und verstand, wie es sein musste, unsichtbar zu sein.
    Eine Glocke erklang, und auf dem Platz wurde es leer und still. Filip sah hinüber zu Adrek, Arcas und Lycas, jeder in einer anderen Ecke des Platzes. Keiner von ihnen gab ihm zu verstehen, dass ihre Suche erfolgreich war.
    Vielleicht ist dieser Plan idiotisch, überlegte er sich, während die Sonne des späten Morgens immer gnadenloser auf ihn hinabschien. Er hatte nichts Hilfreiches belauschen können, ehe die Sitzung begann, nur Geplapper

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