Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
Pfeil vorbei sah Filip in die blassgrünen Augen einer verhüllten Asermonierin. Vier weitere ließen sich um ihn herum hinab, leichtfüßig wie Katzen, und ihm wurde klar, dass sie auf dem Dach und in den Bäumen um sie herum gelauert hatten. Zwei weitere kamen mit ihren Bogen in der Hand die Straße hinuntergerannt.
„Rein mit dir“, sagte die Frau zu Filip.
Er griff nach seinen Krücken.
„Liegen lassen“, befahl einer der Männer. „Wir wollen dich mit leeren Händen.“
„Ohne sie kann ich nicht gehen.“
„Dann kriech.“
Benommen vor Schreck und Angst gehorchte Filip, drehte sich um und legte seine Hände auf die Veranda. Dann hörte er, wie ein dritter Wächter lachte.
„Nein“, rief Filip auf Händen und Knien. „Entweder, ihr lasst mich gehen, oder ihr erschießt mich. Schießt mir in den Rücken, wie ihr es mit meinen Kameraden gemacht habt. Feige Biester, die ihr seid.“
Die Frau stieß einen rauen Fluch aus und trat ihm zwischen die Beine. Filip brach zusammen und schlug mit dem Kinn auf der hölzernen Veranda auf. Der Schmerz des Tritts traf ihn bis ins Mark. Ihm wurde erst schwarz vor Augen, dann funkelnd rot, dann wieder schwarz.
Irgendwo hinter dem Nebel der Qual sagte eine vertraute Stimme: „Was habt ihr getan?“
Er wollte Zelia sagen, dass er nichts verbrochen hatte, und fragen, warum alles immer seine Schuld sein musste. Aber er konnte kaum atmen, geschweige denn sprechen.
„Sie haben versucht zu fliehen“, erklärte der erste Mann.„Einer ist entwischt.“
„Wer hat euch erlaubt, sie zu erschießen?“
„Ratsbefehl. Sie haben gesagt, wir sollen sie lebendig fassen, wenn es geht, aber sie dürfen unter keinen Umständen mit dem, was sie über uns wissen, wieder nach Hause zurückkehren.“
„Wir finden auch den letzten.“ Die Frau trat auf Filips Fußsohle, und eine weitere Welle des Schmerzes erfasste ihn. „Und der hier geht nirgendwohin.“
„Fass ihn nicht an.“ Zelia kniete nieder und legte eine kühle Hand auf Filips Stirn. Ein leises Wimmern entrang sich seiner Kehle.
„Halt still“, befahl Zelia. Sie legte ihm die Fingerspitzen unter den Nabel und begann einen tiefen lindernden Gesang. Filips Schmerz verging so weit, dass er die Augen öffnen konnte.
„Wer?“, gelang es ihm zu flüstern. „Wer ist entkommen?“
„Ich sehe nach.“ Einen nach dem anderen sah Zelia sich die Gefallenen an. „Kiril ist der Einzige, der fehlt.“
Den Göttern sei Dank, dachte Filip. Wenn es ihm gelänge, nach Hause zu kommen, könnte Kiril die zweitgrößte Angst seiner Eltern bestätigen – dass er ebenso wie sein Bruder seinen Wunden erlegen war. Sie würden stolz auf ihn sein, und er könnte in ihrer Erinnerung als mutiger Krieger weiterleben, der für sein Land das größte Opfer gebracht hatte.
Irgendwie musste er einen Weg finden, aus seinem Leben etwas anderes zu machen.
„Dir ist sicherlich klar, Filip, dass jedes Mitglied unseres Volkes die Magie und die Weisheit seines Geistes in Form eines Tieres besitzt. Beide Aspekte gemeinsam ergeben die Gabe dieser Person.“
Filip nickte fast unmerklich und ließ den Blick zwischen den drei Männern, die ihm am Gartentisch gegenübersaßen, hin und her wandern. Zwei von ihnen schienen etwa gleichaltrig zu sein, Ende dreißig, vielleicht Anfang vierzig, mit ähnlich kurz geschnittenem dunklem Haar. Aber einer dieser beiden, der Mann in der Mitte, hatte die Ausstrahlung eines selbstsicherenAnführers – vielleicht zu selbstsicher, dachte Filip bei sich. Das war Galen, der angeblich auf alles eine Antwort hatte. Der andere ältere Mann, Tereus, hatte noch nichts gesagt. Er sah aus, als hätte er schon viele Stunden damit zugebracht, Galen bei seinen hochtrabenden Reden zuzuhören.
Der dritte Mann konnte kaum älter als Filip selbst sein. Sein glattes blondes Haar reichte ihm bis über die Schulter und berührte seinen Fetisch aus geflochtenem Pferdehaar, den er um den Hals trug. Filip lebte lange genug an diesem Ort, um zu wissen, dass seine Bewohner sich die Haare scherten, um den Tod eines geliebten Familienmitglieds zu betrauern. Der junge Mann, Bolan, war erst der zweite oder dritte Asermonier ohne kurze Haare, dem Filip begegnet war.
Als die Männer am Morgen angekommen waren, hatte Galen Kirils Flucht aus Asermos bestätigt. Durch den Rettungstrupp, der die entführten Kalindonier zurückbringen sollte, fehlten der Wachtruppe der Asermonier die besten Männer. Filip versuchte, nicht so zufrieden
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