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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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das Rote Kreuz noch als verbotene Organisation. Erst sechs Jahre später wird ihr Vorhaben Wirklichkeit. Parallel dient die Wetterwarte als Zentrale des Bergrettungsdienstes. Damals ist das obere Erzgebirge noch Sperrgebiet – die Uranbergwerke der Wismut AG dienen als wichtigster Lieferant für die sowjetischen Atombomben. Nur nach strengen Kontrollen kommen Urlauber bis Oberwiesenthal. Dennoch gibt es im Winter verhältnismäßig viele Unfälle, die teilweise dem mangelhaften Material der Skiläufer geschuldet sind – »Da brach entweder das Holz oder die Knochen. Einmal hatten wir siebzehn Transporte an einem Wochenende«, erinnert sich die heute neunzigjährige Wetterwartin.

    Helfer der betriebseigenen Rotkreuzgruppe im Stahlwerk Eisenhüttenstadt bringen einen verletzten Arbeiter zum Fahrzeug.
    © Ilop / DRK
    Den wannenförmigen Rettungsschlitten, »Akja« genannt, hatte ein sächsischer Wehrmachtssoldat bei Rentierzüchtern in Karelien kennengelernt. Mittels Seilen wird er von vier geübten Skifahrern zu Tal befördert; heutige Modelle kommen mit zwei Begleitern aus. An den Wochenenden unternehmen die Helfer Streifengänge rund um den Berg. Und granteln dann hinterher: »Ein schlechter Dienst heute – nicht einen Verletzten gefunden!« Der Bergrettungsdienst benutzt damals noch die Abkürzung »BRD«, so dass man in den Dokumenten schon zweimal hinschauen muss, ob nun der BRD des DRK oder das DRK der BRD gemeint ist. Später wird er deshalb in »Bergunfalldienst« umbenannt, sehr zum Missfallen der Mitglieder. Eine Rettung hat nun einmal mehr Nimbus als ein Unfall. In Lehrkursen bilden sie sich für die Arbeit am Berg fort. »Dort lernten wir auch das alpine Notsignal«, feixt Gäbler, »obwohl an einen Besuch in den Alpen natürlich nicht zu denken war.« Immerhin reicht der Blick an klaren Tagen quer über die Tschechoslowakei bis zum Bayerischen Wald. An anderen Tagen liegen die Wolken wie kalte Wickel um den Berg. Manchmal werden sie Zeugen seltener Naturerscheinungen wie Kugelblitz und Elmsfeuer. Als Helga Gäbler ihr drittes Kind erwartet, fallen Mitte Juni fünf Zentimeter Schnee, und die Hebamme kommt mit ihrem Leichtmotorrad kaum den Berg hinauf. Im Winter ist die Straße generell nicht befahrbar, Räumfahrzeuge gibt es noch nicht. Bergab geht es mit dem Holmenschlitten, bergauf zu Fuß. Ihre Einkäufe trägt die Wetterwartin im Rucksack hoch, und wenn eines der Kinder zum Arzt muss, transportiert sie es mit demselben Rucksack zu Tal.
    Einmal sagt sich ausgerechnet zu Heilig Abend das Ehepaar Ulbricht an, das in Oberwiesenthal Urlaub macht und spontan die Wetterstation zu besichtigen wünscht. Helga Gäbler kredenzt selbstgemachten Hagebuttenwein und präsentiert nicht ohne Stolz den »höchsten Säugling« der DDR . »Ulbricht interessierte sich aber mehr für die Wand mit den Karl-May-Büchern. Doch die Lotte war doll. Die hat auch darauf gedrungen, dass die Angestellten der Wetterwarte Skistiefel bekamen. Er wollte erst nicht, aber zu Weihnachten konnte er es nicht abschlagen.«
    Zu einer lohnenden Aufgabe für Helga Gäbler wird die Nachwuchsarbeit. Im Laufe der Jahre bildet sie an die dreihundert Schüler zu »jungen Sanitätern« aus und gewinnt mit ihnen manchen Wettbewerb. Die Kurse bieten eine breite Palette: Erste Hilfe, Hygiene, Bergung von Verletzten, Naturschutz, Orientierung, Verkehrserziehung. Dutzende der Teilnehmer ergreifen später medizinische oder soziale Berufe – und ein Gutteil bleibt dem Roten Kreuz als aktive Mitglieder erhalten.
    Helmut Kleebusch aus Dessau ist ebenfalls seit den fünfziger Jahren dabei. »Damals hab ich mit Freude von den Alten gelernt. Nun bin ich selber alt, aber meine Erfahrung interessiert die Jungen kaum.« Mitunter kommt er sich vor wie ein Fossil aus einem anderen Zeitalter. Jahrgang 1937, entstammt er jener Generation, die noch etwas anderes kannte als nur die DDR . Die ihn prägenden Ausbilder kamen alle noch aus dem Krieg. »Die haben im Dreck gelegen und unter Beschuss Verwundete geborgen, die die Ärzte dann mit dem Stahlhelm auf dem Kopf im Zelt operierten. Das war das alte Rote Kreuz.« Heute, klagt er, sei die Gemeinschaft nur oberflächlich, man spräche sich auch nicht mehr als Kamerad an, und die Mitglieder erschienen statt in Uniform im Rollkragenpullover. Seinerzeit habe er vor allem nach sinnvoller Betätigung gesucht. »Beim Roten Kreuz ging es freier zu als in der stärker überwachten Kirche, aber weniger verbiestert als in den

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