Im Zeichen der Menschlichkeit
Kampfgruppen.«
Die DDR fordert von ihren Bürgern ausdrücklich, sich gesellschaftlich zu betätigen, bevorzugt in Massenorganisationen wie der FDJ oder dem FDGB oder eben dem DRK . Im Gegenzug winken Vergünstigungen bei Urlauben und Studienplätzen. Wer etwas für die Allgemeinheit tun will, aber einen Mindestabstand zum System wahren möchte, findet oft zum Roten Kreuz. Das kommt zumindest in Gesprächen mit altgedienten Mitarbeitern fast unisono zum Ausdruck: »Für die Basis war nicht die Politik ausschlaggebend, sondern dass man anderen Menschen helfen konnte«, berichtet etwa Wilfried Lammel, als Arzt langjähriger Vorsitzender des Kreiskomitees in Zittau. »Es herrschte ein starker Gemeinschaftssinn, man konnte sich auf die Leute verlassen.« Ähnlich beschreibt es Horst Zerna, Rotkreuz-Urgestein aus Cottbus: »Den meisten Mitgliedern ging es um eine sinnvolle Aufgabe, sie wollten etwas fürs Leben lernen. Der normale Bereich war undogmatisch.«
Diese Auffassung des Roten Kreuzes als einer unpolitischen Nische steht in scharfem Kontrast zur offiziellen Selbstdarstellung. Blättert man heute im Zentralorgan Deutsches Rotes Kreuz , so sticht in einem kaum glaublichen Ausmaß ideologische Agitation ins Auge. Da stehen seitenweise Hymnen auf Stalin, durchwirkt von Gedichten mit Titeln wie Im Kreml ist noch Licht oder Ich preise den Sowjetmenschen . Die Führungskader können nicht genug von ihren Besuchen in Moskau schwärmen: »Ich war in meinem Leben noch nicht so beeindruckt. Die Tränen lassen sich nicht zurückhalten. Oh, du herrliches Sowjetland, ihr herrlichen Sowjetmenschen, die ihr einen Lenin und Stalin hattet«, schreibt etwa Charlotte Eppinger, stellvertretende Vorsitzende des Zentralausschusses. Die Zeitschrift wird von den Funktionären selbst bestückt und gerät entsprechend langatmig und nichtssagend. Offizielle Losungen und Verlautbarungen nehmen breiten Raum ein, nur selten schafft es ein Bericht über die Arbeit der Basis ins Blatt. Wie alle Massenorganisationen wird auch das Rote Kreuz dazu benutzt, die kommunistische Ideologie in die Gesellschaft einzuimpfen. »Es ging in den ersten Jahren um eine prinzipielle Auseinandersetzung mit der irrigen Auffassung, daß das DRK der DDR eine unpolitische, neutrale und über den Klassen stehende Organisation sei«, erläutert Werner Ludwig. Charlotte Eppinger zieht am gleichen Strang: »Nicht selten versucht der Gegner, einen falschen Neutralitätsgedanken in unsere Organisation zu tragen.« Nach heutigem Verständnis eine krasse Missachtung elementarer Rotkreuzprinzipien. Auch wenn die sieben Grundsätze – Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit, Freiwilligkeit, Einheit, Universalität – erst im Laufe der sechziger Jahre als unumstößliches Credo der Bewegung fixiert werden, so bilden sie doch seit den ersten Diskussionen der Gründerväter in wechselnden Kombinationen das ethische Fundament der Rotkreuzarbeit. Dass auch die zweite Diktatur auf deutschem Boden den Hilfsverein für ihre Zwecke zurechtbiegt, überrascht nicht. Doch Ludwig vertritt diese Auffassung auch 1989 noch unbeirrt in einem staatstragenden Doppelband über vierzig Jahre DDR. Wenige Monate später wird er zum Ehrenmitglied des Präsidiums im wiedervereinigten Deutschen Roten Kreuz ernannt. Ein Beispiel für die vorprogrammierten Widersprüche, die mit Prinzipien wie »Neutralität« und »Universalität« einhergehen.
Zu kaum einer Zeit dürfte die Vorstellung einer »unpolitischen Rotkreuzarbeit« so illusionär gewesen sein wie in den fünfziger Jahren. Der Kalte Krieg ist heißer Wettbewerb. Beide Systeme nehmen für sich in Anspruch, »der Freiheit«, »dem Frieden« und »der Humanität« zu dienen. Zum Brennpunkt gerät immer wieder Berlin, wo das Duell der Systeme wie in einer Arena stellvertretend ausgetragen wird.
Die erste große Erschütterung bringt der 17. Juni 1953, als sich der Unmut gegen den totalitären Staat in einem landesweiten Aufstand entlädt. In Berlin flüchten nach blutigen Zusammenstößen Tausende von Demonstranten vor den russischen Panzern und den Karabinern der Volkspolizei auf westliches Gebiet. Allein am Potsdamer Platz bergen West-Berliner Rotkreuzkräfte Dutzende von Toten und Verwundeten aus dem Niemandsland des Grenzstreifens. Als die Sektorengrenze abgeriegelt wird, können die abgedrängten Demonstranten nicht mehr nach Hause zurück. Binnen weniger Stunden macht das Rote Kreuz die leerstehenden Fabrikhallen
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