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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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Heimkehrerfürsorge und Kinderhilfe – auf diese drei Felder konzentriert sich die Wohlfahrtsarbeit des DRK in den fünfziger Jahren. Die breite Palette, die sie einst zur Kaiserzeit und in den zwanziger Jahren umfasste, ist im »Dritten Reich« fast ausradiert worden. Ganz allmählich aber entwickeln sich aus den klassischen Nachkriegsaufgaben heraus neue Arbeitsbereiche, bis aus der »Fürsorgerin« die moderne »Sozialarbeiterin« wird.
    Revolution in Ungarn
    Das nächste Zeitbeben ereignet sich Ende 1956 in Ungarn, wo Hunderttausende gegen die stalinistische Gewaltherrschaft auf die Straße gehen. Die sowjetische Besatzungsmacht fährt mit Panzern auf und schlägt den Aufstand gewaltsam nieder. Es gibt mehrere Tausend Tote, über 200000 Menschen fliehen in den Westen.
    Von Bonn aus macht sich der DRK -Hilfszug auf den Weg nach Budapest. Ein Konvoi aus zwanzig Fahrzeugen, der ein komplettes Krankenhaus mit hundert Betten mitführt, dazu Ambulanzwagen, Blutplasma und Medikamente, Küche, Notstromaggregat und Werkstattwagen. Der nach dem Vorbild eines motorisierten Bereitschaftslazaretts aus dem Zweiten Weltkrieg konzipierte Hilfszug ist autark und praktisch überall einsetzbar. Vorbei an umgestürzten Stalinstatuen fährt er schließlich in einer Schule für Sanitätssoldaten vor, in der die sechzig Helfer ein Lazarett einrichten. Im Operationssaal prangen Bilder von Lenin und Semmelweis. Alle Verbindungen in den Westen sind gekappt worden, nur dank des Funkwagens haben sie noch Kontakt zu Bonn: »Lazarett in Funktion … heftige Schießereien … keine Verluste«. Gisela Michalik, die als Schwester der Göttinger Werner-Schule dazugestoßen ist, berichtet: »Granatsplitter fliegen auf unseren Hof. Mit Sirenengeheul werden in ununterbrochener Folge Schwerverletzte gebracht. Es wird verbunden, operiert, sterilisiert und wieder vorbereitet. Panzer rollen vorbei.«

    Während des Volksaufstands in Ungarn 1956 passiert der Hilfskonvoi des DRK die österreichisch-ungarische Grenze im Burgenland.
    © DRK
    Faktisch handelt es sich um einen Kriegseinsatz. Der Roten Armee, die Budapest nun zum zweiten Mal besetzt, sind die unerwünschten Zeugen ein Dorn im Auge. Zwei Mitarbeiter werden gar in die Sowjetunion verschleppt, und Hermann Ritgen, der Leiter der Mission, hat mehrfach Gelegenheit, sein dickes Fell zu beweisen: »Immer wieder werden die Türen unseres Wagens aufgerissen, und die Mündungen von Maschinenpistolen kitzeln in der Rippengegend.« Schon nach zwei Wochen drängen die Russen die westdeutschen Helfer wieder aus Ungarn heraus. In den österreichischen Flüchtlingslagern hinter der Grenze aber sind einzelne dann noch monatelang im Einsatz. Aufgrund seiner einschlägigen Erfahrungen sind dem West-Berliner Roten Kreuz dort zwei große Camps anvertraut worden. In ihrem Gefolge zockelt nun auch die fahrbare Spielkiste drei Monate lang von Lager zu Lager. Allein in West-Berlin kommen bei Sammlungen 1,2 Millionen Mark und über zweihundert Tonnen Bekleidung zusammen – oft gespendet von Menschen, die selbst nur wenig haben. Auch die DDR schickt erhebliche Geld- und Sachspenden nach Ungarn, dazu ein Dutzend Krankenwagen. Da auch sie die Aufschrift »Deutsches Rotes Kreuz« tragen, wären sie von ihren westdeutschen Pendants nur schwer zu unterscheiden, würden nicht Transparente darauf hinweisen, dass hier eine »Solidaritätsspende für das sozialistische Ungarn« vorliegt. Im Winter kommen dann fünftausend ungarische Kinder zu einem Erholungsaufenthalt in die DDR. Darüber, und nur darüber, erscheint ein dürrer Bericht in der Mitgliederzeitschrift, der »die grauenvollen Tage der Konterrevolution und des faschistischen Terrors« nicht genug verdammen kann. Es wird eine ganze Generation dauern, bis die Länder des Ostblocks das eiserne Joch des Kommunismus abzuschütteln vermögen. Dann werden es die Ungarn sein, die Tausenden von DDR-Bürgern den Weg in den Westen ebnen und das Ende der Diktaturen in Osteuropa einläuten.

Übung der Luftschutzhilfsdienste von Deutschland, Frankreich und Luxemburg in Saarbrücken 1962. Zur Ausrüstung gehören Schutzanzüge, Gasmasken und Strahlenmessgeräte.
    © dpa

KAPITEL 9 »Im Schatten der Mauer«
    Zwischen Weltuntergang und Wiedervereinigung
    Das Rote Kreuz nimmt die Politik hin
und kümmert sich um ihre Opfer.
    CARLO SCHMID
    Im Juni 1961 steigt die Zahl der ostdeutschen Flüchtlinge wieder spürbar an. Allein die vom Roten Kreuz in West-Berlin betriebenen Heime müssen

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