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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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Koch und die medizinisch-technische Assistentin, der Pfleger und die Dolmetscherin. Es ist bezeichnend für diese Umbruchszeit, dass in der Bordapotheke des Schiffes Antibabypillen mitgeführt werden. Und nicht weniger bezeichnend ist es, dass die Oberin diese Pillen wortlos entsorgt.
    Würden die Helfer sich nicht auch der Freude am Leben hingeben, sie müssten wohl am Elend ihrer Patienten verzweifeln und könnten ihre Arbeit nicht mehr leisten. Und so enthalten die Erinnerungen dieser ungewöhnlichen Vietnam-Veteranen durchaus auch unbeschwerte, sinnliche Szenen. Sie schwärmen vom Zauber der Tropennächte, von Glücksmomenten mit einem Glas Wein oder einem Joint an der Reling, von den improvisierten Feiern in den engen Gängen, mit Songs aus dem Musical Hair vom Tonband. In freien Stunden bringt ein Kleinbus die Helfer zum Strand. Er ist unübersehbar als Rotkreuzfahrzeug gekennzeichnet, auch die Schwestern gehen nie ohne Dienstbluse an Land. Am Strand kommen sie manchmal mit amerikanischen Soldaten ins Gespräch. Einmal lädt Ite Totzki einen Bomberpiloten zu einem Rundgang auf die Helgoland ein. Der Anblick der zahlreichen Napalmopfer, darunter viele Kinder, bestürzt ihn. »Der Mann ließ sich schließlich nach Hause versetzen, der konnte nicht mehr kämpfen. Plötzlich hatten seine Bomben Gesichter«, erzählt sie. Angesichts des nicht enden wollenden Leids fühlt sich Totzki manches Mal an Dunants Erlebnisse in Castiglione erinnert: »Ich kann das so gut nachvollziehen. Er stand da und sagte sich: Das darf nicht wahr sein!« In dessen weltumspannendem Geist zu wirken, so die spätere Oberin der Lübecker Schwesternschaft, habe sie stets mit Befriedigung erfüllt. Gerade im Vietnamkrieg habe sie den Schutz des Roten Kreuzes als einen Segen erlebt, der mit Gold nicht aufzuwiegen gewesen sei. Freilich war auch Glück im Spiel – eine Haftmine hätte genügt, der Mission der Helgoland ein Ende zu setzen.

Das Schiff der guten Hoffnung: Die »Helgoland« dient während des Vietnamkrieges als schwimmendes Hospital.
    © M. Blum / DRK

    Über vier Jahre lassen deutsche Ärzte, Schwestern und Techniker Zehntausenden von Menschen wertvolle, oft sogar lebensrettende Hilfe zuteil werden.
    © M. Blum / DRK

Wie seine Namenspatronin ist auch das Schiff eine Insel. Zwar hört der Funker regelmäßig Norddeich Radio und hält die Crew über das Weltgeschehen auf dem Laufenden, doch sonst bleibt sie weitgehend auf sich gestellt. Briefe nach Hause sind zwei Wochen unterwegs, es gibt kein Telefon an Bord. »Das war auch ein Schutz«, meint Ite Totzki. »Es hätte uns sehr belastet, hätten wir unmittelbaren Austausch mit unseren Familien gehabt. So mussten wir uns gegenseitig auffangen.«
    Die Bilanz des Einsatzes, der bis Ende 1971 dauerte, ist beeindruckend: Auf dem 91 Meter langen Schiff wurden über 10000 Operationen durchgeführt, 12000 stationäre Behandlungen, 70000 Erst- und 130000 Mehrfachkonsultationen in der Ambulanz. Vereinzelt erreichen die »Helgoländer« heute noch Briefe dankbarer Patienten: »Sie gaben mir ein zweites Leben … Ihre Gesichter bleiben mir unvergesslich.« Gelegentlich finden sie sich auch im größeren Kreis zusammen, wie zu einem Klassentreffen. Der alte Elan ist dabei immer noch zu spüren. Und wenn es sein müsste, zögen sie glatt wieder los.
    Ein Unglück kommt selten allein
    Am Ostersamstag 1967 klingelt bei Schwester Anita Carstens kurz nach Mitternacht das Telefon. Dass die Rotkreuzschwester auch nachts gelegentlich zum Dienst ins Clementinenhaus in Hannover gerufen wird, daran ist sie gewöhnt. Doch sie traut ihren Ohren kaum, als der Arzt ihr für den Nachmittag einen Pockenkranken ankündigt. Im beginnenden Zeitalter der Fernreisen kehrt die Geißel aus dem Mittelalter nach Europa zurück – der Patient hat sich in Indien damit angesteckt. Binnen weniger Stunden muss eine Isolierstation für ihn, seine Frau und ein Dutzend anderer Personen eingerichtet werden, die nach seiner Rückkehr Kontakt mit dem Kranken gehabt haben. Ein Arzt und eine Schwester werden sich ebenfalls in Quarantäne begeben. Carstens muss einen ganzen Trakt des DRK -Krankenhauses räumen lassen und in aller Eile vorbereiten. Sie legt ausreichend Bettwäsche und Patientenbekleidung bereit, schafft Berge von Einweggeschirr an, lässt Bad und Toilette so umbauen, dass die Abwässer desinfiziert werden können.
    Dann fährt ein Krankenwagen vor. Mit Schutzkleidung und Atemmasken bewehrt, führen die Fahrer den

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