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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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Deutschen Roten Kreuz betrieben. Sie verfügt über eine ausgeklügelte Minenschutzanlage und ein ABC -Abwehrsystem, das einen gewissen Schutz gegen chemische Kampfstoffe oder radioaktiven Niederschlag bietet. Im September 1966 läuft sie ins Delta des Mekong ein, eskortiert von Kampfhubschraubern und etlichen Schnellbooten, deren Maschinengewehre auf jedes Bündel Treibholz feuern, da die Freischärler des Vietcong häufig Minen in schwimmenden Inseln verstecken. Zunächst wird das Schiff in Saigon stationiert, nach einem Jahr dann in Da Nang, einer Hafenstadt etwa in der Mitte des gespaltenen Landes.
    Die erste Equipe besteht aus sieben Ärzten, zwanzig Schwestern, acht Pflegern und sechs technischen Mitarbeitern wie Röntgen- und Laborassistentinnen. Sie alle haben sich für sechs Monate verpflichtet. Über fünf Jahre hinweg kommen 122 Rotkreuzschwestern zum Einsatz, manche davon mehrmals, dazu gut fünfzig Ärzte sowie fast hundert Pfleger und technische Helfer. Fast alle sind jung und wenig lebenserfahren, dafür hochgradig politisiert. In Deutschland werfen die Studenten der Protestgeneration Steine und skandieren »Ho-ho-ho-Chi-Minh«.
    »Es war eine verkehrte Welt«, befindet Ite Totzki, damals Anfang zwanzig und als Krankenschwester in der Unfallchirurgie tätig. »Die jungen Leute demonstrierten gewaltsam gegen Gewalt. Uns bot sich dagegen die Chance, selbst zu helfen – das war der richtige Weg.« Auch für Elisabeth Arkenberg gibt das konkrete menschliche Beispiel den Ausschlag: »Wir wollten den Vietnamesen zeigen, dass nicht alle Westler den Kurs der amerikanischen Regierung gutheißen.«
    In Da Nang liegt die Helgoland mitten in der Stadt am Kai. Zusätzlich wird in zwei nahen Baracken noch eine Ambulanz eingerichtet. Das geschundene Land verfügt kaum über Ärzte, und zwei Kriege haben die koloniale Infrastruktur weitgehend zunichtegemacht. Das deutsche Schiff hingegen ist medizinisch bestens ausgestattet, es bietet zudem Duschen, einwandfreies Trinkwasser, beständige Elektrizität und nie versiegende Vorräte. Und es ist ein Ort, der nicht angegriffen wird, obwohl er mitten im Kampfgebiet liegt. Mit 2500 Flugbewegungen täglich ist die Luftwaffenbasis von Da Nang zu dieser Zeit der betriebsamste Flughafen der Welt. »Vom Schiff aus sahen wir manchmal fünf Düsenjäger losfliegen, aber nur drei kehrten zurück«, erinnert sich Totzki. Nachts beobachten sie den Raketenbeschuss und wissen, dass wenige Stunden später neue Verwundete eintreffen werden. Behandelt werden ausschließlich Zivilisten. Wobei es die Sicherheit des Schiffs erhöht haben dürfte, dass sich ab und zu auch Vietcong-Kämpfer unerkannt unter die Patienten mischen. Tatsächlich wird der Liegeplatz beim Beschuss der Stadt ausgespart, und als einmal doch versehentlich Granaten einschlagen und die Fenster bersten, entschuldigt sich wenig später ein Abgesandter im Namen des Vietcong. In manchen Nächten läuft die Helgoland dennoch vorsorglich aus und ankert bis zum Morgen auf Außenreede.
    In der Mehrzahl der Fälle müssen Verletzungen behandelt werden, die sonst nur Kriegschirurgen kennen. Da ist der Junge, der mit einer Handgranate gespielt hat. Da der Verkehrspolizist, dessen Körper derart mit Bombensplittern gespickt ist, dass die Schwestern auch am dritten Tag noch welche rausholen. Da das Mädchen, dem ein Querschläger die Leber zerrissen hat und das wenige Tage nach der Operation schon wieder quietschfidel spielt. Da der Kriegsdienstverweigerer, der sich die Zehen abgetrennt hat, um nicht kämpfen zu müssen. Und da der Bauer, über dessen Dorf Napalmbomben niedergegangen sind. Die Chemikalie brennt sich immer tiefer ins Gewebe ein, bis auf die Knochen.
    Auch die seemännische Besatzung steht den Helfern nach Kräften bei. Jürgen Arkenberg war damals zweiter Ingenieur: »Wir hatten ein fünfjähriges Mädchen mit Verbrennungen am ganzen Körper, es schrie in einem fort«, berichtet er, und noch heute muss er dabei schlucken. »Das Kind wurde jeden Tag gebadet, damit die verkrusteten Verbände abgelöst werden konnten. Wir wussten, dass die Kleine nicht zu retten war. Schicksale wie das ihre haben mich an meine Grenzen gebracht.«
    Glück und Unglück, Leben und Tod liegen an Bord oft dicht beieinander. Als eine von dreißig Ehen, die die Helgoland gestiftet hat, sind Jürgen und Elisabeth Arkenberg selbst ein Beispiel dafür. Viele dieser Verbindungen haben bis heute gehalten: die Krankenschwester und der Seemann, der

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