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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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bewegt die Zeitgenossen tief.
    © J. F. Müller / DRK
    Für rund 2500 Franken lässt er den Band drucken und, wie schon das Tunesienbuch, mit dem Vermerk »unverkäuflich« versehen. Damit stellt er sich in die Tradition der Erbauungsliteratur und beharrt auf seinem Status als Amateur. Die ersten sechshundert Bücher sind »Familie und Freunden« zugedacht, tausend weitere Exemplare gehen schließlich doch in den Handel. Wie jeder Autor spekuliert auch Dunant auf Erfolg. Und zumindest diese eine Spekulation gelingt ihm auf ganzer Linie. Er hält seiner Zeit einen Spiegel vor – und Europa erschrickt vor sich selbst. Neben den Herrscherhäusern mobilisiert das Buch auch den geistigen Hochadel der Zeit. So räumt Charles Dickens dem »travelling amateur« in seiner Wochenzeitung All the Year Round eine eigene Serie ein. Auch die Gebrüder Goncourt applaudieren dem Senkrechtstarter – ein seltenes Privileg. Er sei gar »besser als Homer«, weil eindeutiger: »Man verflucht den Krieg.« Und Victor Hugo versteht das Werk als Anti-Kriegsbuch: »Den Krieg hassen zu lehren heißt die Könige hassen zu lehren.« Doch politische Agitation liegt Dunant fern, im Gegenteil, er buhlt um die Gunst der Mächtigen. Ebenso wenig hat sein Anliegen etwas mit Pazifismus zu tun; er sinnt nicht auf Abschaffung des Krieges, sondern möchte die unausweichlichen Folgen militärischer Auseinandersetzungen mildern.
    Ein wichtiger Verbündeter bei diesem Anliegen wird ihm General Guillaume-Henri Dufour. »Es ist wohl nötig«, schreibt er dem Autor nach Lektüre der Erinnerung , »daß man an so erschütternden Beispielen erkennt, daß der Schlachtenruhm mit Leid und Tränen bezahlt wird. Man ist nur zu leicht geneigt, allein die glänzenden Seiten des Krieges zu sehen und vor seinen traurigen Folgen die Augen zu schließen.« Dufour war einst als junger französischer Offizier verwundet in Gefangenschaft geraten. »Meine Hände und Schenkel bestanden nur mehr aus rohem Fleisch, und mein Gesicht war böse verunstaltet. Ich verbrachte zehn Tage in den Fängen eines Hilfschirurgen und einer unfähigen Pflegerin.« Er weiß, wie der Krieg aus der Verliererperspektive aussieht.
    Die glorreichen Fünf
    Aufgrund seiner Lebensleistung genießt Dufour über die Schweiz hinaus hohes Ansehen. Seine wichtigste Bewährungsprobe hat er 1847 während des Sonderbundskrieges bestanden, bei dem die katholischen Kantone gegen die protestantischen aufbegehrten. Dass dieser Schweizer Bürgerkrieg noch verhältnismäßig glimpflich verlief, war auch Dufours Verdienst. Die Proklamation an seine Truppen ist bis heute eine der bemerkenswertesten Ansprachen der Militärgeschichte geblieben: »Bleibt mäßig im Kampf, erniedrigt euch nicht zu Rohheiten, die eine Bevölkerung, die man mit Milde zu gewinnen versuchen soll, nur erbittern können. Eine Zerstörung der Kirchen muss verhindert werden. Wenn der Feind geschlagen ist, pflegt seine Verwundeten, als wären es die unseren. Zähmt den Furor der Soldaten nach einem Kampf, schont die Besiegten. Es gibt keine größere Ehre für eine siegreiche Truppe. Wer Hand an einen unschuldigen Menschen legt, macht sich ehrlos und besudelt seine Fahne.« Ein Humanist in Uniform, der den Geist der Genfer Konvention lange vor deren Unterzeichnung lebte. Doch Dufour steht mittlerweile im achten Lebensjahrzehnt. Seine von den Prinzipien der Aufklärung durchdrungene Weltsicht gehört bereits einer vergangenen Epoche an.
    Ein weiterer engagierter Leser der Erinnerung ist Gustave Moynier, Präsident der Genfer Gemeinnützigen Gesellschaft. Er sucht den Autor nach der Lektüre umgehend auf. Dunant hat kaum damit gerechnet, beim Wort genommen zu werden – seine Anregungen waren im Konjunktiv gehalten. Und nun kommt ein Mann zu ihm, der sie kurzerhand in den Imperativ überführen will. Es sei!
    Der promovierte Jurist Moynier entstammt, genau wie Dufour, dem Milieu der Genfer Uhrenindustrie, deren Werte durchaus als Metaphern für seine Persönlichkeit taugen: mit hohen Ansprüchen an sich selbst, verlässlich und exakt bis zur Pedanterie. Sein Vermögen enthebt ihn der Notwendigkeit, einen Beruf ausüben zu müssen. Statt nun aber einem süßen Leben zu frönen, widmet er seine ganze Kraft wohltätigen Organisationen. Auf der nächsten Versammlung der Gemeinnützigen Gesellschaft versucht er, die Mitglieder für Dunants Ideen zu gewinnen. Die Reaktionen sind zurückhaltend, man könne sich mit einer derart weitreichenden Problematik

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