Im Zeichen der Menschlichkeit
schließlich zum Kriegsschauplatz auf. Die uniformierte Begleitung lernt er zu schätzen, merkt er doch, dass er als Zivilist inmitten einer Militäroperation ein Mensch zweiter Klasse ist. Anlass genug für ihn, sich Gedanken über »die Würde des Delegierten« zu machen. Auch wenn die Rolle der Rotkreuzgesandten sich in der Folgezeit institutionalisiert hat – und diese heute nicht mehr auf bewaffnete Begleitung zurückgreifen –, ist sie eine komplexe und bisweilen prekäre Angelegenheit geblieben.
Wie das Genfer Komitee, so entsendet auch die Berliner Vereinigung einen Beobachter an die Front. Der angesehene Chirurg Ernst Julius Gurlt soll den Einsatz freiwilliger Helfer studieren. Denn es existieren bereits einige derartige Organisationen, die in aller Eile mobilisiert worden sind. Der Johanniterorden etwa richtet in Schleswig und Holstein fünf Lazarette ein. Auch private Vereine sowie kirchliche Gruppen versuchen sich nützlich zu machen. Bereits die ersten Tage des Krieges lassen die ungenügende medizinische Versorgung offenbar werden: »Spät am Abend«, so schildert es ein Augenzeuge, »tönte die Trommel durch die Straßen. ›Zweihundert verwundete Österreicher halten vor dem Schloß!‹ In wenigen Minuten war ganz Schleswig auf den Beinen. Von Hunger und Durst gepeinigt, lagen die Verwundeten auf einem Bündel Stroh und zitterten vor Kälte und Schmerz. Decken, Lebensmittel und Erfrischungen wurden herbeigeschleppt. Frauen verbanden die Wunden ihrer Befreier; Mitleid und Dankbarkeit wetteiferten in ihren Herzen.«
Der preußische Hilfsverein erfreut sich regen Zuspruchs. »Aus ganz Deutschland, und selbst aus fremden Ländern, in denen Deutsche wohnen, flossen Spenden«, berichtet Gurlt. »Auch ließ sich das Comité die Beschaffung chirurgischer Instrumente, Rollstühle und vieler Arm- und Beinschienen angelegen sein. Sämtliche Amputierte, einschließlich der Dänen, wurden in Kiel mit künstlichen Gliedern versorgt.«
Während sein Auftrag sich nahtlos in die preußische Militärmaschinerie einfügt, gestaltet sich die Mission der beiden Genfer Emissäre heikler. Gerade ihre Unparteilichkeit macht sie suspekt, und da es keinen Präzedenzfall gibt – ihr Einsatz vielmehr selbst zum Präzedenzfall für künftige Einsätze werden soll –, fällt es ihnen nicht immer leicht, ihr Anliegen begreiflich zu machen. Louis Appia bringt es schließlich auf eine Formel: »Unsere Mission ist es, den Krieg menschlicher zu machen – sofern dies nicht einen Widerspruch in sich darstellt.«
Ein Krieg zwischen Dänen und Deutschen? Aus heutiger Sicht ist man leicht versucht, ihn nostalgisch als eine Art Operettenkrieg anzusehen. Nichts könnte verkehrter sein, es war bitterer, blutiger Ernst. Seine Vorgeschichte ist verworren, nicht zuletzt aufgrund der komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse der Herrscherhäuser, die in Bindestrichkonstruktionen wie Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg beredten Ausdruck finden. (Solche Namensungetüme mag man belächeln, und doch wird niemand anderes als sie später deutsche Kaiserin, als Gemahlin von Wilhelm II .) Zankapfel ist vor allem Schleswig, das zusammen mit Holstein und Lauenburg zu Dänemark gehört, allerdings mit teilweiser Autonomie und bei gleichzeitiger Mitgliedschaft der beiden letztgenannten Herzogtümer im Deutschen Bund. Die territoriale Zersplitterung wird vom Nebeneinander der Sprachen überlagert und vom Streit um politische Reformen.
»Von Hunger und Durst gepeinigt«: Im Deutsch-Dänischen Krieg richten die Johanniter fünf Lazarette ein, darunter dieses in einem Flensburger Hotel.
© DRK
Als Zugeständnis ans bürgerliche Parlament unterzeichnet König Christian IX . eine Verfassung, die Schleswig als integralen Teil Dänemarks miteinbezieht. Was formal eine Verletzung des Londoner Abkommens aus dem Jahr 1852 darstellt, das nach dem ersten Schleswig-Holsteinischen Krieg (1848 – 1851) den Status der einzelnen Gebiete genau festgelegt hat. Für Preußen und Österreich willkommener Anlass, Dänemark im Namen des Deutschen Bundes anzugreifen. Unter König Wilhelm I . und seinem Kanzler Otto von Bismarck schickt Preußen sich an, das Machtgefüge in Europa zu seinen Gunsten zu verändern. Freilich will es nicht gleich eine Großmacht herausfordern, weshalb es sich im Fall Italiens noch zurückgehalten hat. Für den Anfang käme ein nicht allzu langer Krieg gegen einen nicht allzu starken Gegner gerade recht. Dänemark
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