Im Zeichen der Menschlichkeit
auch vollkommen wirkungslos bleiben, sich vereinzelt sogar als kontraproduktiv erweisen.
Die volle Wahrheit?
Neben militärtechnischen Neuerungen kommt im Deutsch-Dänischen Krieg auch ein gerade erst gebrauchsfertig gewordenes Medium zum Einsatz: die Fotografie. Dem preußischen Tross folgt ein Fotograf mitsamt Dunkelkammerwagen, der den Feldzug für die Mit- und Nachwelt festhalten soll. Er schießt Trophäenbilder eroberter Stellungen, nicht unähnlich denen von Großwildjägern. Sie sollen den heldenhaften Sieg zeigen und nicht die blutige Wirklichkeit. So sind die Schanzen mit einem Häuflein triumphierender Männer darauf festgehalten, nicht aber die Gefallenen zu ihren Füßen, die Gräberfelder, die Ambulanzen. Für Einzelreisende wie Appia und van de Velde sind die Kameras und ihre Glasplatten noch zu schwer, die alchemistischen Prozeduren in der Dunkelkammer zu aufwendig. Weshalb sie stattdessen ein altbewährtes Medium nutzen: Sie zeichnen. Nicht anders als die großen Forschungsreisenden skizzieren sie mit geübter Hand, was ihnen begegnet. Sie sind Kriegsberichterstatter im Dienste einer Idee.
Die dänischen Zeitungen attackieren das Genfer Komitee zunächst. Was ist das für eine dubiose völkerrechtliche Organisation, die einen Bruch des Völkerrechts gutheißt? Denn so stellt sich der Konflikt aus ihrer Sicht dar. Wie lässt sich der moralische Anspruch des neuen Hilfsvereins mit seiner politischen Indifferenz vereinbaren? Darüber ist man auch in Genf geteilter Meinung. Gustave Moynier will den Erfolg der Mission nicht durch Indiskretionen gefährden und rückt von seinen anfänglichen Vorstellungen einer offensiven Öffentlichkeitsarbeit ab. Der Feuerkopf Dunant hingegen besteht auf »der Pflicht des Komitees, die volle Wahrheit zu wissen und dann auch auszusprechen, und derart hassenswerte Vorkommnisse zu brandmarken«. Dieses Dilemma zwischen Schweigegebot und Zeugenschaft wird sich wie ein roter Faden durch die weitere Geschichte der Organisation ziehen.
Auf preußischer Seite nimmt Theodor Fontane als »eingebetteter Journalist« am dänischen Feldzug teil. Er legt dabei ein anderes Selbstverständnis an den Tag, als wir es heute erwarten würden. Er berichtet parteiisch, suggestiv, manchmal fast schon schadenfroh. Zu seinem populärsten Kriegsstück gerät die Ballade vom Pionier Carl Klinke, der – einen Pulversack geschultert – beim Sturmlauf auf ein dänisches Bollwerk eine Bresche in die Palisaden sprengt. Die Aktion gelingt, doch Klinke selbst erliegt wenig später seinen Verletzungen. Der Pointe dieses Namens kann Fontane nicht widerstehen: »Da springt von achten einer vor: Ich heiße Klinke, ich öffne das Tor!« – und setzt dem Mann damit ein literarisches Denkmal.
Generell kommen die Opfer in der deutschen Presse zu kurz; in der dänischen nehmen sie naturgemäß größeren Raum ein. Immerhin können die Verluste, so hoch sie auch sind, noch während der Kämpfe beziffert werden. Am 17. März verzeichnen die Preußen 33 Tote, am 12. April die Dänen 29. Und auch wenn nach der blutigen Erstürmung der Schanzen die Gefallenen in Massengräbern beigesetzt werden müssen (»Hier liegen 209 tapfere Dänen … Hier liegen 100 tapfere Dänen«), das massenhafte, namenlose Sterben, das die Kriege des 20. Jahrhunderts kennzeichnen wird, bildet hier noch die Ausnahme. Die meisten Gedenksteine in den Feldern rund um die Düppeler Schanzen erzählen kleine, traurige Geschichten: »Hier fiel Sergeant Sauermilch … Hier fiel Gefreiter Lorenzen … Hier starb Generalmajor du Plat« (auf dem Weg in ein preußisches Lazarett). Noch ist das Schicksal individuell, noch haben die Opfer einen Ort und einen Namen.
Es fällt auf, dass in den zeitgenössischen Berichten kaum Sanitäter vorkommen, wie auch die Heeresfotografen keine Spitäler abgelichtet haben. »Möglicherweise findet sich deshalb so wenig über sie, weil ihre Arbeit für eine breitere Öffentlichkeit tabu war«, vermutet Tom Buk-Swienty, der im Wust der Düppel-Literatur nur eine einzige Aufzeichnung eines Sanitätssoldaten aufzustöbern vermochte. »Mit Henry Dunant als klarer Ausnahme wurde bis zum Ersten Weltkrieg nicht über die Schattenseiten des Krieges geschrieben.«
Es ist eines der historischen Verdienste des Roten Kreuzes, dieses Tabu durchbrochen zu haben. Der Bericht jenes namenlosen Sanitätssoldaten ist weniger durch seine Erlebnisse bemerkenswert als durch seine mechanische, fast geistesabwesende Erzählweise.
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