Im Zeichen der Menschlichkeit
Die nicht als Gefühllosigkeit zu werten ist, sondern als Symptom des Ausnahmezustands, in den das Bewusstsein der Betroffenen durch solch extreme Beanspruchung versetzt wird. »Bis zur dritten Parallele kamen wir, bald hier, bald dort einen Verwundeten aufnehmend, ihn nach dem Verbandsplatz tragend und wieder zurückkehrend. Wie viele wir so aus dem Feuer haben tragen können, weiß ich nicht. Wir haben sie nicht gezählt. Wir liefen immer zwei und zwei mit einer Bahre.«
Die Schlacht ist geschlagen: Preußische Soldaten posieren nach Erstürmung der Düppeler Schanzen in den eroberten Stellungen.
© W. Schade / DRK
»Wir liefen immer zwei und zwei mit einer Trage«: Skizze von Louis Appia zu einer neuartigen Krankenbahre.
© DRK
Eine weitere Schilderung stammt von dem Krefelder Gefreiten Wilhelm Gather: »Auf der Chaussee sah man Züge von Wagen mit Verwundeten, von welchen die Gesichter dermaßen aussahen, daß der Tod schon eine Hauptrolle darin spielte. Wenn man dieses alles gesehen, so muß man sagen, daß es eine grausame Welt ist, die sich jetzt so schändlich gemetzelt und dann wieder bemüht ist, die Wunden zu heilen.« Auch dieses Motiv wird sich durch den Diskurs über das Rote Kreuz ziehen. Während er kämpft, gilt der Soldat als Krieger. Sobald er jedoch verwundet wird, sieht man ihn als Opfer an. Zumindest so lange, bis er wieder kämpfen kann. Es liegt ein Moment von Perversion in dieser Verkettung von Fürsorge und Vernichtung. Das Rote Kreuz lässt sich auch als ein Symptom ansehen für die Ungeheuerlichkeit der Welt.
In den zeitgenössischen Berichten finden die Genfer Emissäre ebenso wie die Sanitäter kaum Erwähnung. Was zählen zwei Mann, noch dazu zwei Ausländer und Zivilisten, in einem Krieg mit Zehntausenden von Beteiligten? Und doch wird dieser erste Einsatz zweier Delegierter sich auf die Wahrnehmung aller künftigen Kriege auswirken. Auch sie öffnen ein Tor, und wenn er es hätte erleben dürfen, als Verwundeter oder Gefangener in einem der nur zu bald folgenden Kriege, hätte vermutlich auch der Pionier Klinke eine solche Einrichtung gutgeheißen.
Apocalypse now
Der 18. April 1864 wird zum Tag der Entscheidung. Seit vier Uhr morgens feuern die preußischen Batterien ohne Unterlass. Die Dänen ducken sich und harren aus. Schlag zehn verstummen die Kanonen. Erst lautlos, dann mit gellendem »Hurra« springen die Deutschen aus den Gräben, rennen die Schanzen hinauf und überwinden die Absperrungen. Während oben die Karabiner krachen, intoniert unten in der zweiten Parallele das Musikkorps unter Leitung von Kapellmeister Gottfried Piefke den York᾽schen Marsch . Beethoven im Bombenhagel.
»Es fällt schwer«, bekennt Buk-Swienty, »sich die Weltuntergangsstimmung vorzustellen, die geherrscht haben muss, als so viele Menschen mit so primitiven Waffen getötet wurden. Auf einem Gelände, das kleiner ist als ein Fußballplatz, lagen bald dreihundert tote und verwundete Soldaten.« Nach etwas mehr als einer halben Stunde ist die Hauptschlacht geschlagen. Die Dänen verlieren an diesem Tag siebenhundert Mann, die Preußen rund dreihundert. Bereits am Nachmittag verkünden Böllerschüsse in Berlin die Siegesnachricht. Wenige Tage später erlebt Appia, wie König, Kronprinz und Kriegsminister im offenen Wagen durch Flensburg fahren, die Generäle im Konvoi hinterdrein. »Viktoria, Viktoria!«, schallt es ihnen entgegen.
Die Hochstimmung mündet in einen patriotischen Dauerrausch. Die Berliner Siegessäule kann gar nicht so schnell gegossen werden, wie Preußen die Kriege führt; bis zu ihrer Fertigstellung kommen 1866 und 1870 zwei weitere hinzu. Jedes der drei Säulensegmente wird mit erbeuteten Kanonenrohren aus dem jeweiligen Feldzug garniert. 1938 wird das Denkmal dann noch um ein viertes Segment aufgestockt, sozusagen als Anzahlung für kommende Kriege.
Sonderburg präsentiert sich heute als ein schmuckes Städtchen mit mittelalterlichem Schloss und malerischen Gassen. Und es wäre noch um einiges schmucker, wenn die preußischen Batterien es damals nicht zerschossen hätten. »Die Menschen flüchteten aus der Stadt wie die Bewohner von Sodom und Gomorrha«, berichtete ein britischer Reporter. »Frauen mit ängstlichen Gesichtern zogen kleine Kinder hinter sich her. Alte Männer bewegten sich furchtsam durch die Straßen. Lange Reihen von Pferdefuhrwerken rumpelten davon.« Die Öffentlichkeit Europas empörte sich über die Bombardierung der Stadt; das Beschießen von
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