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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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Kontinentalmacht wird sie kaum lebensfähig sein. Und so versucht Dunant unterdessen in Paris einen ähnlichen Durchbruch zu erreichen wie in Preußen. Getragen von einer kaum glaublichen Zuversicht, die Mächtigen in seinem Sinne beeinflussen zu können, tourt er durch die Salons, lässt seine christlichen Verbindungen spielen, bearbeitet die Armeeführung und die Entourage des Kaisers. Ein Erfolg seines Hilfswerks würde ganz nebenbei auch die Chancen seiner Mühlengesellschaft erhöhen.
    Im Juni 1864 wird das Französische Rote Kreuz begründet. Es versammelt klangvolle Namen: Baron Dutilh de Tuque, Vicomtesse Carré de Chauffour, Ministre Drouyn de Lhuys. Auch Marschall Mac-Mahon, bei dem Dunant zuletzt in Solferino vorgesprochen hat, wird zu einer führenden Figur der Hilfsgesellschaft. Eine Madame de Staël, Nachfahrin der berühmten Schriftstellerin aus Genfer Familie, fertigt ein Rotkreuztischtuch für die Pariser Salons, das als erste Devotionalie gelten darf, als Prototyp einer endlosen Reihe von Werbemitteln und Geschenkartikeln, die den Weg der Organisation seither begleiten.
    In Dunants Situation ist eine Vermischung von Geschäft und humanitärem Engagement nahezu unvermeidlich. Auch personell sind beide Sphären eng verzahnt. General Dufour sitzt sowohl im Komitee als auch im Vorstand der Aktiengesellschaft. In Algerien wirkt Henri Nick als Geschäftspartner, in Paris als »einer der fleißigsten Mitarbeiter« des Hilfswerks. Und während Basting mit Dunant Berlin erobert, offeriert dieser ihm gleichzeitig Aktien der Mühlengesellschaft, die jedoch nach wie vor kaum vorankommt. Die Arroganz der französischen Kolonialbürokratie könnte auch einen geduldigeren Unternehmer als ihn zur Verzweiflung treiben. Gleichzeitig verkennt Dunant die Interessen der Einheimischen, wie er überhaupt die örtlichen Gegebenheiten ignoriert. Nach zahllosen Eingaben und einer Intervention Dufours beim französischen Kabinettschef erhält die Gesellschaft eine Konzession für gut 200 Hektar. Dennoch hat Dunant an der Unternehmung keine rechte Freude mehr. Vermutlich würde er sich zu diesem Zeitpunkt am liebsten in ein »Schattendasein« zurückziehen. Aber er hat viel zu viel investiert – und anderen viel zu viel versprochen.
    Für August 1864 kündigt das Komitee schließlich eine Konferenz »aller zivilisierten Nationen« an, die einen »feierlichen Vertrag« schließen sollen – die Genfer Konvention. Erneut entsenden sechzehn Staaten Vertreter. Bayern, Hannover und Österreich nehmen diesmal nicht teil, Russland schickt erst auf dringliche Nachfrage einen Emissär, der allerdings nicht mehr rechtzeitig eintrifft. Dafür sind Belgien, Dänemark, Portugal und die USA dabei. Dunant hat an Abraham Lincoln geschrieben, der Charles Bowles als Repräsentanten der staatlichen Gesundheitskommission nach Europa entsendet. Die Kommission hat während des Bürgerkriegs ähnliche Funktionen wahrgenommen, wie sie das Rote Kreuz in Europa zu übernehmen beabsichtigt. Auch einige weitere Staaten in Übersee sind in aller Form informiert worden, darunter Mexiko, Brasilien, Persien und Japan. Die Idee zieht Kreise.
    Diesmal hat die Schweizer Regierung eingeladen. Da nur Staaten einen völkerrechtlichen Vertrag schließen können, nehmen hochrangige Amtsträger der jeweiligen Länder teil. Es ist die größte diplomatische Zusammenkunft seit dem Wiener Kongress. Sie findet im Rathaus statt, einem Hort der Gediegenheit, geschmückt mit allerlei Fahnen und Wappen. Mit seinen vielen Rampen, Treppen und Gewölben wirkt es wie eines von M. C. Eschers perspektivischen Labyrinthen. Ein Sinnbild für die paradoxen, verwinkelten, nie endenden Bahnen der Politik. Auch die Sitzungen verlaufen vertrackt. Es wird geschachert, gekungelt und geblufft. Verfahrensfragen nehmen mehr Raum ein als die Inhalte. Wichtige Entscheidungen fallen eher auf den Fluren und in den Hotelsuiten als im Sitzungssaal. Mit anderen Worten: Hier findet eine echte internationale Konferenz statt. Genf etabliert sich als diplomatisches Parkett der Welt.
    Dunant ist als Maître de Plaisir für das Rahmenprogramm zuständig.Mit dem ihm eigenen Elan organisiert er Empfänge und Festessen, die bisweilen kuriose Formen annehmen: »In der Mitte der Tafel ragte ein gewaltiges Zuckergebäck auf, das eine Festung mit Besatzung darstellte, mitsamt Sanitätspersonal, das die Armbinde trug.« Rotkreuzkitsch ist so alt wie das Rote Kreuz selbst. Gespeist wird in den großen Hotels. Man

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