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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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Interesse an dem großen, ebenso internationalen als vaterländischen Ziele rege erhalten«. Schon die Juni-Ausgabe bringt dann einen Aufruf des Königs: Preußen marschiert gegen Österreich. Wieder hat sich das Rote Kreuz als historischer Seismograph von erstaunlicher Genauigkeit erwiesen.
    Im Deutsch-Dänischen Krieg noch als Bündnispartner agierend, haben sich Preußen und Österreich über die Verwaltung von Schleswig und Holstein zerstritten. Ein Vorwand, um das Kräfteverhältnis zwischen dem Deutschen Bund – unter Führung Österreichs – und dem Königreich Preußen neu zu justieren. Die Gelegenheit scheint günstig, Österreich steckt in einer schweren Finanzkrise, das Verhältnis zum Zarenhof ist trotz verwandtschaftlicher Beziehungen angespannt, ein Eingreifen der Russen also eher unwahrscheinlich.
    Die Fronten verlaufen kreuz und quer durch Mitteleuropa: Preußen steht gegen Österreich, Sachsen-Altenburg gegen Sachsen-Meiningen, Bremen gegen Frankfurt, Braunschweig gegen Baden. Viele der beteiligten Staaten sind der Konvention bereits beigetreten, Österreich, Bayern und das Königreich Sachsen jedoch nicht. Andere haben sie zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert, was etwa Württemberg Anfang Juni, wenige Tage vor Ausbruch der Feindseligkeiten, noch eilig nachholt. Preußen wiederum verkündet, dass es die Genfer Beschlüsse ungeachtet des gegnerischen Desinteresses einzuhalten beabsichtige. Egal, wie der Krieg ausgehen wird, die Schlacht um Europas öffentliche Meinung hat es damit bereits halb gewonnen.
    Dem Central-Comité wird die Oberleitung für private Hilfstätigkeiten übertragen. Neben Diakonissen aus Berlin eilen auch Borromäerinnen aus Breslau und Franziskanerinnen aus Paderborn zu den Schlachtfeldern. Johanniter- und Malteserritter sind ebenfalls im Einsatz, doch den größten Teil der Einsätze kann die neue Hilfsgesellschaft bereits selbst leisten. Das Hauptdepot in Berlin, Unter den Linden 76, wird mit den erbetenen Sachspenden geradezu bombardiert: Sandsäcke, Bettlaken, Gips, Krücken, Flanell und Chloroform. Auch »Heil- und Labemittel« treffen tonnenweise ein, außerdem Bücher und Schachspiele.
    Die junge Elisabeth Lutze hat sich als Helferin gemeldet: »Berge von alter Wäsche wurden sortiert, gereinigt und dann zu Scharpie [aus Fasern bestehendes Wundverbandsmaterial] gezupft.« Obwohl täglich zentnerweise Material an die Front geht – Hofprediger Ernst Wilhelm von Hengstenberg fügt jeder Sendung noch Bibeln und Gesangbücher bei –, platzt das Depot aus allen Nähten.

    Damenrunde: Weibliche Mitglieder eines bayerischen Hilfsvereins fertigen aus Stoffresten Verbandsmaterial, sogenannte Scharpie.
    © DRK
    Im ganzen Land vollzieht sich eine beispiellose moralische Mobilisierung. Die Ausgaben von Kriegerheil werden immer umfangreicher, die Listen der Spender immer länger. Sie reichen von den »Jungfrauen in Versmold« über den Kegelverein in Schöpenburg bis hin zu »Ungenannt in Saarlouis«. Die Kirchenkollekte in Halle trägt ebenso ihr Scherflein bei wie die Israelitische Gemeinde zu Lippstadt. Die Arbeiter der Bonsdorf’schen Glasfabrik machen mit Prinzessin Marianne der Niederlande gemeinsame Sache. Und Herr Ernst von der Beeck in London spendet mit der gleichen Passion wie Bürgermeister Kanitz in Krojanke an der Glomia. Bald können aus Platzgründen nur noch bedeutende Geber genannt werden. Etwa der Bremer Hilfsverein, der 8000 Taler sendet, dazu 1320 Flaschen Rotwein, 47000 Zigarren, 2000 Pfund Zucker und 1000 Pfund Reis. Ein Rittergutsbesitzer übergibt russische Prämienanleihen, ein Ehepaar trennt sich von seinen Trauringen, und Polizeihauptmann Dennstedt setzt den Erlös seiner Denkschrift über Tierschutz, Pferd und Peitsche zum Besten der verwundeten Krieger ein. Für die Finanzen ist der Schatzmeister des Komitees zuständig, Kommerzienrat Gerson Bleichröder. Was insofern bemerkenswert ist, als sein Bankhaus durch die Ausgabe von Staatsanleihen zu den wichtigsten Finanziers dieses Krieges zählt.
    Alles geschieht unter Hochdruck. »Ein einziger Helfer am Abend des Schlachttages«, mahnt einer der Ärzte, »ist mehr wert wie zehn Helfer eine Woche später. Mit jedem Tag vermindert sich die Arbeit, sie vermindert sich vorzugsweise durch den Tod.« Die Eisenbahn wird nicht nur für die Armee, sondern auch für Sanitäter und Hilfsgüter zum wichtigsten Transportmittel. Doch die Unvorhersehbarkeit der Militäroperationen verursacht Probleme, »weil

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