Im Zeichen der Menschlichkeit
der Konvention mitgewirkt hat, haben die USA sie nicht unterzeichnet. Die Bemühungen, einen ersten, 1866 gegründeten Verein dauerhaft zu etablieren, waren wieder eingeschlafen.
Deutsches Lazarett bei Straßburg. In solchen Einrichtungen lernt Clara Barton die Kriegsarbeit des Badischen Frauenvereins schätzen.
© DRK
Als der Krieg im Sommer 1870 ausbricht, weilt Barton zur Kur in der Schweiz. Im Gefolge Appias erlebt sie die Belagerung von Straßburg und mehrere Gefechte mit. Immer wieder zieht es sie zwischendurch nach Karlsruhe, um in den Lazaretten zu helfen. Als sie zehn Jahre später den amerikanischen Verband neu begründet, hat sie den Badischen Frauenverein als Modell vor Augen: »Als ich die Arbeit der Rotkreuzgesellschaften im Felde sah, da sagte ich mir: Wenn ich leben bleibe, so will ich versuchen, meine Landsleute das Rote Kreuz und die Genfer Konvention verstehen zu lehren.«
Das deutsche Zentralkomitee lässt 80000 Broschüren mit Erläuterungen zur Konvention verteilen. Ein Katechismus für die Kämpfer, für alle Fälle zweisprachig gehalten. Auf französischer Seite zeigt sich schnell, dass weder Kabinett noch Generalstab mit dem Genfer Abkommen vertraut sind, geschweige denn die Truppen. Der Sanitätsdienst zeichnet sich abermals durch Desorganisation aus, gepaart mit Überheblichkeit – die Armee scheint aus Solferino nichts gelernt zu haben. Auch sammeln die deutschen Hilfsvereine zehnmal so viel Geld wie ihr französisches Pendant. Selbst die unbeteiligten Briten überbieten die Franzosen in puncto Spendenfreudigkeit. Mit typisch angelsächsischer Fairness reichen sie das Geld zu gleichen Teilen an die Hilfsvereine beider Kriegsparteien weiter.
Ganze Städte wie Haguenau oder Dijon hissen beim Anmarsch des Feindes Hunderte von Rotkreuzfahnen, nur weil es heißt, dass Behelfslazarette nicht besetzt würden. Auch an den Tuilerien und am Louvre prangt das Symbol, in der vagen Hoffnung auf Schutz. Bäcker, Bauern und selbst Leichenfledderer legen die Binde an, als handle es sich um ein magisches Amulett. Mitunter wird das Emblem auch als Kriegslist eingesetzt: Als Sanitätsgehilfe verkleidet, entrinnt General Bourbaki der Belagerung von Metz. Einer der Ersten, die das Genfer Komitee eines Missbrauchs des Zeichens bezichtigt, ist ausgerechnet Henry Dunant. Der für seine Korrespondenz ein Briefpapier mit dem Phantasie-Logo eines »internationalen universellen Werkes der Humanität« benutzt, in dessen Mitte ein rotes Kreuz prangt. »Als Gründer dieses Werkes bin ich vollauf dazu berechtigt«, schreibt er trotzig an Moynier.
Ein Lazarett auf Schienen
Aus der Zeit des Deutsch-Französischen Krieges stammt eines der ersten Rotkreuzbücher einer Frau. Obwohl sie »das Eisenbahnfahren in gewöhnlichen Zeiten nicht verträgt«, begleitet Julie Freiin von Wöllwarth, Mitglied des Württembergischen Sanitätsvereins, einen Lazarettzug. Ein Onkel dient als Generalmajor, ein Bruder als Offizier, da will auch sie nicht zurückstehen. Die Diensttracht lernt sie bald zu schätzen: »Wir fühlten, welchen Schutz sie nach außen hin gewährte. Auch der Ruf ›Schwester‹ war wohltuend und sicherte unsere Stellung.« Bei einigen vermisst sie indes die »reine Triebfeder für das edle Werk« und tadelt deren Betragen: Eine Pflegerin tanzt in einem leeren Wagen mit einem Sanitätsmann, eine andere spielt Karten, eine dritte »kleidet sich theatralisch und läßt sich von den jungen Ärzten huldigen«. Wöllwarth arbeitet dagegen an, indem sie geistliche Schriften verteilt und mit pietistischer Inbrunst jeden Morgen zum Choralsingen ruft.
Nach ersten Erfahrungen im Hinterland zieht es sie mit Macht an die Front. »Ich sehnte mich in die Nähe des Schlachtfeldes, da dort Hilfe am nötigsten war.« Dieser Magnetismus der Front durchzieht die Rotkreuzliteratur bis in den Zweiten Weltkrieg; in der Etappe stationiert zu sein gilt beinahe als Degradierung. Schon die Anreise gerät zum Abenteuer. Als die Gleise, demontiert von den Franzosen, in den Ardennen plötzlich enden, erwägen sie, zu Fuß weiterzuziehen, verwerfen den Gedanken jedoch wegen der umherstreifenden Wölfe. Beim Rangieren wird ein belgischer Eisenbahner zwischen den Puffern zerquetscht, weil die schwäbischen Waggons anders gebaut sind. Bei Sedan wird eine Mitschwester von einer Kugel getroffen und bricht tot zusammen. Im Juragebirge haben die Franzosen versucht, zwei vierzig Meter hohe Brücken zu sprengen. »Wir dürfen es nicht wagen«,
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