Im Zeichen der Menschlichkeit
ihrer Zustimmung versichert. In dem Glauben, das Land hinter sich zu wissen, lässt er sich gegenüber Preußen zur Überheblichkeit verleiten, als es zu Meinungsverschiedenheiten über die spanische Erbfolge kommt. Seit der Absetzung von Königin Isabella II . 1868 ist der spanische Thron vakant. Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen wird von vielen Beteiligten als Kompromisskandidat akzeptiert. Nur Frankreich sperrt sich vehement gegen eine Hohenzollern’sche Thronfolge, auch wenn der Prinz einer ganz anderen und überdies katholischen Linie des Hauses angehört als der preußische König. Dieser bewegt Leopold schließlich auch zum Verzicht auf die Kandidatur. Frankreich aber gibt sich damit nicht zufrieden und verlangt in der berühmten »Emser Depesche«, die Hohenzollern sollten dem spanischen Thron für alle Zeit entsagen. Bismarck gibt die Depesche an die Presse weiter. Das genügt, um beide Nationen in erbitterte Feindseligkeit zu stürzen – und in martialische Euphorie. Frankreich gilt in der Weltöffentlichkeit als Aggressor, der überzogene Forderungen gestellt und somit den Konflikt zu verantworten hat. Für Preußen ein großer Vorteil, da auf diese Weise für die süddeutschen Staaten der Bündnisfall eintritt.
»Gott segne es Ihnen!«, prangt auf den Spendenquittungen des preußischen Hilfsvereins. Schon in den ersten Tagen sammelt er 575000 Taler. Vielerorts fertigen emsige Damen bei Nähabenden Bandagen, Leibbinden, Strümpfe und Haarnetze. In den Wirtshäusern im Rheinland werfen die Gäste für jeden gezechten Schoppen einen Obolus in eine Sammelbüchse. In Friesland ziehen Vögte und Lehrer mit Spendenlisten von Hof zu Hof.
Adolf Schaal schließt sich dem Sanitätskorps in Stuttgart an. Nach kurzer Einweisung wird er auf dem Bahnhof stationiert, wo die Helfer in drei Schichten Dienst tun, eingeteilt in vier »Rotten« zu fünfzehn Mann. Sie nehmen vor allem die Verwundetentransporte in Empfang. Meist werden die Züge erst kurz vorher telegrafisch angekündigt. Dann richten die Helfer die Tragbahren und das Verbandszeug her, benachrichtigen die Ärzte und die Damen vom »Erfrischungskomitee«, die Tee, Bouillon und Zwieback vorbereiten und bei Bedarf achthundert Mann in nur zwanzig Minuten versorgen können. In den wuchtigen Hallen des nahen Königsbaus hat der Sanitätsverein sein Hauptquartier aufgeschlagen. Pastor Hahn leitet die täglichen Besprechungen. Da Schaal Französisch spricht, betreut er vor allem die Gefangenen. Wobei ihm die Landsleute aus deutschen Gefilden fast exotischer vorkommen. In einem einzigen Zug zählt er Männer von 76 Regimentern, »der Sohn der Düne neben dem vom Fuß der Alpen«. Frisch verbunden, werden sie dann auf die Stuttgarter Lazarette verteilt. Mit jedem Zug kommen auch einige erkrankte oder verwundete Sanitäter an. Wobei der Einsatz in der Heimat ebenfalls gefährlich sein kann. Vom langen Dienst erschöpft, legt ein Kollege sich eines Nachts auf eine Trage und deckt sich zu. Am nächsten Morgen befällt ihn Unwohlsein, und wenige Tage später stirbt er an Typhus.
Zum ersten Mal kommen spezielle Sanitätszüge zum Einsatz. Vor allem Generalarzt Loeffler hat nach den Erfahrungen von 1866 darauf gedrängt. Den ersten Berliner Sanitätszug leitet Rudolf Virchow persönlich. Die Begeisterung für die rollenden Spitäler überbrückt selbst größte landsmannschaftliche Gegensätze: »Fast sämtliche preußische Evacuationscommissionen, welche bayerische Sanitätszüge gemustert haben, waren des Lobes voll.« Die Züge bestehen aus etwa dreißig Waggons, die so platzsparend und funktionell eingerichtet sind wie Schiffskajüten. Jeder ist mit fünf bis sieben Betten ausgestattet, mit Feldstuhl, Waschbecken, Aschenbecher und Laternen. In den Ambulanzkästen stehen Karbolsäure, Rizinusöl, Chinin, Opium und Kamillentee einträchtig nebeneinander. Außerdem gibt es Waggons für das Begleitpersonal, einen Proviantwagen, einen Abortwagen mit Brennholzdepot und einen Dampfwagen, der in der Mitte des Zuges eingereiht wird, damit nach beiden Seiten hin geheizt werden kann. Zumindest die bayerischen Modelle führen außerdem einen Bierwagen mit. Ein typischer Zug ist mit einem Militärkommandanten, drei Ärzten, drei Medizinstudenten, fünfzehn Krankenwärtern, sechs Pflegerinnen, zwei Köchinnen und einem Zeugmeister besetzt. Eine Liste der Letzteren hat sich erhalten und nennt Berufe wie Hofvergolder, Stadtrichter, Fotograf oder Druckereibesitzer –
Weitere Kostenlose Bücher