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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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des Roten Kreuzes durch das des Roten Halbmonds aus und setzen einen Fes auf.
    In der Karawanenstadt Gharian errichten sie ein Zeltlazarett, das sowohl der türkischen Armee als auch der vornehmlich arabischen Bevölkerung zugutekommt. Ihre moderne Ausrüstung kontrastiert mit den Glüheisen und Schröpfköpfen der örtlichen Heilkundler. Neben Kriegsverletzungen behandeln sie auch Augen- und Geschlechtskrankheiten, Lepra, Spulwürmer und Bisswunden. Carl Goebel, Chefarzt am Augusta-Hospital in Breslau, zeigt sich von der Duldsamkeit seiner Patienten beeindruckt: »Ich habe nie Kranke gesehen, die mit solcher Ruhe und Ausdauer die größten Qualen erduldeten, so fügsam waren und solche rührende Dankbarkeit für jede erwiesene kleinste Wohltat bezeigten. Es war eine wahre Freude, solchen Menschen als Arzt gegenüberzustehen.«

    Die deutsche Hilfsexpedition im Tripolitanischen Krieg zieht durch Wüsten, die zuvor nur von dem Afrikaforscher Gustav Nachtigal erkundet worden sind.
    © DRK
    Ein Hauptproblem bilden Typhuserkrankungen durch verseuchtes Brunnenwasser. Auch wenn sie den Erreger im Labor nachweisen können – die türkischen Behörden wollen partout nichts davon hören. Es wäre der Moral der Truppe abträglich, und so gelten die schweren Infektionen offiziell einfach als Fieber oder Malaria. Nach wenigen Wochen erliegen auch drei Expeditionsmitglieder der Seuche, nachdem sie sich bei ihren Kranken angesteckt haben. An der Beerdigung nehmen auch Einheimische teil: »Dieser Mann, der zu uns gekommen ist, um zu helfen, und der dabei sterben mußte, wird sicher ins Paradies eingehen.« Wenig später sendet das Rote Kreuz eine zweite Gruppe als Verstärkung. Zusammen behandeln sie in vier Monaten »20 Europäer, 311 Türken, 719 Eingeborene, dazu Schwarzafrikaner, Beduinen, Tuareg, die von weit her kamen«.
    Der Wüstenkrieg endet zunächst im Oktober 1912 mit der Abtretung von Tripolitanien und der Cyrenaika an Italien. In den zwanziger Jahren findet er dann aber unter Mussolini seine Fortsetzung in einer bis dahin beispiellosen Schreckensherrschaft, der rund 100000 Menschen zum Opfer fallen. Wobei schon der Auftakt in die Geschichtsbücher eingeht – als erster Luftkrieg der Menschheit. Die deutschen Ärzte gehören daher zu den Ersten, die Bombenopfer versorgen müssen. Die »Multiplizität und Schwere« der Verletzungen machen aufwendige Operationen erforderlich. Noch im gleichen Jahr veröffentlicht Bertha von Suttner einen hellsichtigen Essay gegen Die Barbarisierung der Luft. Für sie bedeutet das parallel einsetzende Wettrüsten der staatlichen Luftflotten eine Bankrotterklärung der abendländischen Zivilisation. Als Beleg dafür dient ihr die Bombardierung von Ambulanzen des Türkischen Roten Halbmonds in Tripolitanien. Die Sprengkörper, von den Italienern »Himmelstorpedos« genannt, wiegen nur wenige Kilogramm, haben die Größe einer Handtasche und werden im Tiefflug aus Luftschiffen und Doppeldeckern geworfen, meist auf Oasen oder Karawanen. 33 Jahre später wird die Atombombe über Hiroshima gezündet werden. Eine derart rapide Eskalation ist selbst in der Militärgeschichte ohne Beispiel.
    Auch in Mitteleuropa rumort es, eine gewisse Friedensmüdigkeit macht sich breit. Auf dem Tag der Landesfrauenvereine 1910 erklärt die bayerische Vertreterin: »Unsere Friedenstätigkeit muß in erster Linie als Vorbereitung für die Kriegstätigkeit aufgefaßt werden.« Und der sächsische Albert-Verein lässt verlauten, dass er sich »in angestrengter Friedensarbeit auf seine Kriegsaufgaben vorbereitet«. Im Mai 1914 wird die erste reichsweite Sammlung veranstaltet, zum »Ausbau der Bereitschaft für den Heeressanitätsdienst«. Das Rote Kreuz, dieser wundersame historische Seismograph, registriert unterschwellige Erschütterungen. Die Ausschläge werden stärker, die Abstände kürzer. Bis ein Beben von ungeheurer Stärke die halbe Welt zum Einsturz bringt.

Opferstock für die Armee – Sammelstelle für sogenannte Liebesgaben in Dortmund während des Ersten Weltkriegs.
    © Atlantic / DRK

KAPITEL 5 »Im Taumel des Krieges«
    Der Untergang des Abendlandes
    Es wird Kriege geben, wie es noch keine
auf Erden gegeben hat.
    FRIEDRICH NIETZSCHE, ECCE HOMO
    Mit zwanzig Jahren wird Lotte Schmidt Soldatenfrau. Wenig später, im Sommer 1913, folgt sie ihrem Mann nach Osterode in Ostpreußen. Eines Tages spricht der Regimentsarzt sie an, ob sie einen Ausbildungskurs zur Rotkreuzhelferin mitmachen möchte. Sie

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