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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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Frankreich und Nordafrika.

»An vorderster Front«: Sanitäter stehen einem verwundeten Soldaten im Schützengraben bei.
    © DRK

    »Geistige Belebung«: Fahrbare Büchereien wie die des Zweigvereins Jena versorgen die Soldaten mit Büchern und Brettspielen.
    © Atlantic / DRK

Noch weit größere Dimensionen erreicht der Versand sogenannter Liebesgaben an die Front und in die Gefangenenlager. Wie schon in den preußischen Kriegen bekundet die Bevölkerung dadurch ihre Verbundenheit mit dem Heer und leistet zugleich eine freiwillige Abgabe, die sonst vom Militäretat bestritten werden müsste. In der Nähe der Bahnhöfe nehmen Sammelstellen des Frauenvereins Sachspenden aller Art in Empfang, vom Margarineblock bis zur Streichholzschachtel, vom Rehrücken bis zur Ziehharmonika. Allein der Provinzialverein Schleswig-Holstein bestückt so im Laufe des Krieges 1200 Eisenbahnwaggons mit Waren im Wert von dreizehn Millionen Mark. Auch die Heimat führt eine Materialschlacht.
    Mit Beginn des ersten Kriegswinters wird warme Kleidung zu einer Frage des Überlebens. In Strickstuben und Schulen überall im Land werden Berge von Strümpfen, Ohrenschützern, Unterhosen und Kniewärmern gefertigt. Das Zentralkomitee setzt einen »Ausschuß für warme Unterkleidung« ein, dessen Appelle – »Welches Opfer wäre zu groß, um unsere herrlichen Truppen in ihrer Stoßkraft zu schützen!« – nicht satirisch gemeint scheinen. Für jedes Infanterieregiment kommt Wäsche im Wert von zehntausend Mark zusammen. Zusätzlich sammelt der Vaterländische Frauenverein im Rahmen der »Reichswollwoche« Stoffreste und gebrauchte Kleidung, um daraus Decken für die Soldaten in den Schützengräben zu fertigen. Später wird sogar tonnenweise Frauenhaar gesammelt. Ausgekämmte Haare müssen als Ersatzmaterial für Hanf herhalten, das die Rüstungsindustrie zu Treibriemen, Dichtungen und Filzplatten verarbeitet.
    »Zur Förderung vaterländischer Gesinnung« bringt der Frauenverein auch die Propagandaschriften des Kriegspresseamtes unters Volk, verbunden mit dem »guten Zweck ausgiebiger Werbearbeit zur Zeichnung der Kriegsanleihen«. Das Rote Kreuz fügt sich nahtlos in die Kriegsmaschinerie ein. Wo hört die Verwundetenpflege auf, wo fängt die Kriegstreiberei an? Was ist militant, was karitativ? Das scheint damals keine Frage gewesen zu sein. Deutschland erlebt »eine große Zeit«, und die Hilfsgesellschaft mit ihm. Als Neujahrsgruß 1915 heißt es in der Mitgliederzeitschrift: »Das Rote Kreuz ist das Rückgrat unseres Heeres. Es ist die allgemeine ›Dienstpflicht‹ aller nicht Wehrpflichtigen. Hier kann und muß jeder Deutsche, ob Mann oder Frau, Greis oder Kind, dienen und damit dem Vaterlande zum Sieg verhelfen.«

    »Reichswollwoche«: Zu Beginn des ersten Kriegswinters werden überall im Reich warme Kleidung und Decken für die Frontsoldaten gesammelt.
    © Photo-Union / DRK
    Mitunter steigern sich die der Organisation innewohnenden Paradoxien bis zur Schizophrenie. »Der Mann schlägt Wunden, die Frau heilt Wunden. Beides tut uns not«, verkündet bei Kriegsbeginn der Vorstand des Vaterländischen Frauenvereins. Auch die Titulierung als »Armee der Liebe« grenzt ans Pathologische. Gegenüber dem Pathos der Funktionäre wirkt der Pragmatismus der Basis geradezu erfrischend. Im friesischen Varel schaltet der örtliche Vorstand eine Anzeige in der Lokalzeitung: »Der Frauenverein beabsichtigt, ein Schwein zu verarbeiten, um den Soldaten Wurst zu schicken. Um Angebote wird freundlich gebeten. Es kommt ein Schwein von 250 bis 300 Pfund in Frage.«
    Als das benachbarte Jever im ersten Kriegsjahr keine Verwundeten zugeteilt bekommt, fühlen sich die dortigen Rotkreuzkräfte fast geprellt, zumal auch die erwartete Seeschlacht ausbleibt. Der Tatendrang der Sanitätskolonne liegt brach, wobei die meisten Mitglieder ohnehin eingezogen worden sind. Im Krieg wird der Rohstoff Mann in ungeheuren Mengen benötigt. 1916 werden auch ältere Jahrgänge und zunächst als wehruntauglich Befundene eingezogen. Am Ende müssen Schüler als Krankenträger herhalten; parallel gründen die Frauenvereine Mädchenabteilungen. Der Krieg ist der Vater erstaunlich vieler Dinge – selbst der Jugendarbeit im Roten Kreuz.
    Zug um Zug
    Zu den ergiebigsten Quellen jener Zeit gehören Tagebücher. 1914 werden sehr viel mehr geführt als 1913. Ihre Autoren eint das Bewusstsein, dass nun Geschichte geschrieben wird, und sie nehmen sich vor, ihren Beitrag daran

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