Im Zeichen der Menschlichkeit
nimmt teilweise kommerzielle Züge an. Weshalb Patrouillen regelmäßig Streife gehen und »Edelweißwächter« wochenlang an den letzten Standorten zelten. Eine Tradition, die sich bis in die sechziger Jahre hinein erhalten wird.
So erfolgt die Geburt der Bergwacht zunächst aus dem Geist des Naturschutzes heraus. Doch nur zu bald werden die Naturwächter auch als Nothelfer gerufen, und so entwickelt sich eine professionelle Rettungsarbeit, zunächst vor allem im Winter. Parallel zu den Sanitätsabteilungen der Bergwacht wird der Gebirgsunfalldienst des Roten Kreuzes geschaffen. Er soll die klassische Kolonnenarbeit in der Vertikalen fortführen. Hans Gazert, Gründer der Sanitätskolonne Partenkirchen, ruft ihn Mitte der zwanziger Jahre ins Leben. Wer sich den Herrn Sanitätsrat als kleinstädtischen Honoratioren vorstellt, wird angesichts seines Vorlebens überrascht sein. Gazert war in den Jahren 1901 bis 1903 Expeditionsarzt der ersten deutschen Antarktismission. Schon früh ein begeisterter Ski- und Schlittenfahrer, versuchte er sich mit wagemutigen Zugspitzbesteigungen auf den »Kontinent des eisigen Südens« vorzubereiten, auf dem er dann zwei volle Jahre zubrachte. Einmal kenterte er bei einer Ausfahrt im Kajak und konnte sich nur mit Glück auf eine Eisscholle retten. Doch er hielt diesen Vorfall für so unbedeutend, dass er dem Expeditionsleiter erst auf der Rückreise nach Europa davon erzählte. Noch mit 89 Jahren wird Gazert auf einer Skandinavienfahrt achtzehn Nächte im Zelt verbringen. Bessere Referenzen für einen alpinen Notfallmediziner kann man sich kaum wünschen, zumal »der kleine Polardoktor« obendrein auch noch Kinderarzt ist. Umsichtig baut er den Unfalldienst auf, organisiert Schulungen und Übungen. Und er entwirft jenes Emblem, das bis heute das Logo der Bergwacht Bayern bildet: das Rote Kreuz im Edelweiß.
Schon 1922 patrouilliert die Sanitätskolonne Schliersee jeden Sonntag im nahen Skigebiet. Verbandszeug und Stärkungsmittel führen die Männer mit, Rettungsschlitten, Eispickel, Schaufeln und Steigeisen stehen bereit. Andere Kolonnen folgen ihrem Beispiel und richten zusätzlich Posten auf den Hütten ein. 1928 versehen dann bereits 25 Kolonnen zwischen Berchtesgaden und Lindau den Gebirgsunfalldienst. Sie stehen über achthundert verletzten Skifahrern bei, helfen nach Lawinenunglücken und übernehmen Krankentransporte per Bahn oder Kraftwagen. Wobei das Nebeneinander verschiedener Rettungsdienste immer wieder zu Komplikationen führt. Die Bergwachtler wollen keine Sanitäter sein, die Sanitätskolonnen keine Alpinisten. Eingefleischte Rotkreuzler vermissen auch das Auftreten in Uniform, selbst wenn sie einräumen, dass Sportkleidung im Gebirge praktischer ist.
Ähnlich verschlungen verläuft die Entwicklungsgeschichte der Wasserwacht. Der erste Hochwassereinsatz des Roten Kreuzes in Deutschland erfolgte bereits 1883. Als die Donau über die Ufer trat, rettete die Wasserwehr Regensburg, ein Ableger der örtlichen Sanitätskolonne, Menschen und Vieh aus Stadthäusern und abgeschnittenen Gehöften. Nach der Jahrhundertwende bezogen dann hie und da »Samariter in der Badehose« ihre Posten in den Küstenregionen und an den Seen im Alpenvorland. Als amphibische Stadt mit zahlreichen Flüssen, Seen und Kanälen spielte auch Berlin eine Vorreiterrolle. Nachdem schon 1901 ein Posten am Wannsee eingerichtet worden war, entstehen nun weitere Stationen. Sie setzen zunächst Ruderboote ein (Vierer mit Steuermann), später kleine Rettungsdampfer mit Kohlefeuerung. Mitte der zwanziger Jahre verfügt der Wasserrettungsdienst über vier patrouillierende Motorboote und sechzehn Stützpunkte. Die größeren haben ein festes Haus, die kleineren operieren aus Zelten heraus. Die Helfer stellen sich ehrenamtlich zur Verfügung; viele von ihnen sind arbeitslos. 1922 betreuen sie 155 Unglücksfälle, zehn Jahre später, mit entsprechend mehr Stationen, fast 5000. Die Zahl der vor dem Ertrinken geretteten Personen steigt von 15 auf 132. Die Ausbildung der Rettungsschwimmer und Bootsführer erfolgt den Winter über, wobei ins Eis eingebrochene Kinder und leichtfertige Eissegler auch da für manchen Einsatz sorgen.
Neben Schwimmern und Faltbootfahrern nehmen sich die Helfer auch gestürzter Radfahrer, gestrauchelter Spaziergänger und unvorsichtiger Kinder an, die sich am Schilf geschnitten haben. Außerdem der Opfer einer typischen Saisonkrankheit: »Der Berliner«, so befindet ein Lokalreporter beim
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