Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
Vom Netzwerk:
Besuch einer Havelstation, »mutet seinem Magen gern allerhand zu, besonders wenn er unterwegs ist. Eine saure Gurke, drei Eiswaffeln, noch eine Saure und hinterher kaltes Wasser.« An großen Flüssen, die weniger für die Freizeit als für die Schifffahrt von Bedeutung sind, bleiben die traditionellen »Wasserwehren« tonangebend. Sie rekrutieren sich aus den örtlichen Sanitätskolonnen und kommen bei Hochwasser, Schiffsunglücken und Unfällen zum Einsatz. Allein im Rhein ertrinken jährlich an die fünfhundert Menschen. Die Männer der Wasserwehren – als besonders brauchbar gelten »gediente Pioniere, Seeleute, Seesoldaten« – sollten »selbstverständlich schwimmen können« und jederzeit bereit sein, »den Kampf mit den Elementen« aufzunehmen.
    Schließlich kommt das Rote Kreuz auch bei einer Reihe von Katastrophen zum Einsatz. So etwa beim Eisenbahnunglück in Cannstatt 1923, beim schweren Straßenbahnunglück in Kassel 1927 und beim Grubenunglück im Aachener Revier 1930. Die beiden größten Einsätze erfolgen während einer Überschwemmung der Müglitz im Erzgebirge und einer Explosion im Saargebiet. Das steht seit Ende des Krieges unter dem Mandat des Völkerbundes und unter französischer Verwaltung, weshalb es eine eigenständige Rotkreuzgesellschaft besitzt. Der 10. Februar 1933 bringt für sie die ganz große Bewährungsprobe. Die Sanitätskolonne Neunkirchen hält gerade ihren wöchentlichen Unterrichtsabend, als kurz nach sechs eine Detonation die ganze Stadt aufschreckt. Die Menschen rennen auf die Straße. Zum Glück. Denn nun erfolgt eine zweite, noch viel gewaltigere Explosion. Der Gasspeicher der Hüttenwerke – siebzig Meter hoch, neu errichtet, mit modernster Sicherheitstechnik versehen – fliegt in die Luft. Eine gewaltige Flamme lodert auf, die Stahlbleche der Hülle krachen auf die umliegenden Gebäude. Die Druckwelle zerstört dreißig Arbeiterhäuser komplett und beschädigt weitere dreißig schwer. In der ganzen Stadt bersten Fenster.
    Die Sirene der Hüttenwerke heult auf. Nach wenigen Minuten schon sind fünfzig Mann der Sanitätskolonne zur Stelle. Sie richten einen Verbandsplatz ein, versorgen Hunderte von Verletzten und bergen Lebende und Tote aus den Trümmern. Dass die Gasflamme noch stundenlang lodert, macht die Arbeit brandgefährlich, da drei nahe Benzoltanks jederzeit explodieren können. Während die Bevölkerung in Panik flieht, eilen Kolonnen aus den Nachbarorten herbei, selbst aus der Pfalz und aus Saarbrücken. Niemand hat sie gerufen, da die Telefonverbindungen unterbrochen sind. Doch der Knall ist zweihundert Kilometer weit zu hören gewesen, und die fünfzig Meter hohe Stichflamme gibt ein weithin sichtbares Fanal ab.
    Neben Feuerwehrleuten und Arbeiter-Samaritern sind im Ganzen sechshundert Rotkreuzkräfte im Einsatz. Sie richten eine Küche für tausend Personen ein und eine Erfrischungsstation für Polizei und Helfer. In den Schulen schlagen sie Notbetten für Hunderte nun obdachloser Menschen auf. Und sie bahren die Toten auf. Weil die erste Explosion die Leute aus den Häusern getrieben hat, gibt es verhältnismäßig wenig Verschüttete, dafür umso mehr Verletzte mit Schnitt- und Splitterwunden. »Die Wirkung gleicht der eines wohlgelungenen Fliegerangriffs«, berichtet ein Augenzeuge. Fast siebzig Menschen sind ums Leben gekommen; neunzig Schwerverletzte und rund siebenhundert Leichtverletzte gilt es zu versorgen. Auch die Helfer ziehen sich beim Aufräumen so manche Schürfung zu, bei der dann Klebeband der Marke »Traumaplast« zum Einsatz kommt.

    Sanitäter helfen 1930 beim Großbrand im Duisburger Hafen.
    © DRK
    Die Welle der Spendenbereitschaft und Solidarität, die nach der Katastrophe ganz Deutschland erfasst, wird auch als politisches Signal mit Blick auf die geplante Volksabstimmung an der Saar gesehen. Und so gerät der Trauerzug vier Tage später zu einem Großereignis. Dabei sind die Männer der Kolonnen ebenfalls gefordert. Sie tragen die Kränze, fungieren als Ordnungsdienst und betreuen entlang der Strecke manche Ohnmacht. So bestürzend das Unglück ist – es bestätigt den Wert ihrer Arbeit und zeigt, dass all die Übungen und Schulungen ihren Sinn haben. »Wir sind stolz, daß wir helfen durften und helfen konnten«, bekennt der Kolonnenführer. Unter maßgeblicher Beteiligung des Roten Kreuzes errichtet die Stadt noch im gleichen Jahr eine neue Siedlung für die obdachlos Gewordenen. Und wäre er nicht bereits kommunistischer

Weitere Kostenlose Bücher