Im Zeichen der Menschlichkeit
über achttausend örtliche Rotkreuzvereine und Kolonnen, ist das Deutsche Rote Kreuz eine der größten Vereinigungen überhaupt. »Im Namen dieser Männer und Frauen erkläre ich die unbedingte Bereitschaft, uns Ihrer Führung zu unterstellen«, meldet Präsident Joachim von Winterfeldt im Mai des Jahres 1933 an Hitler. Die meisten bedeutenden Institutionen übermitteln zu dieser Zeit derartige Ergebenheitsadressen. Geschickt nutzten die Nationalsozialisten die Unsicherheit nach ihrer Machtübernahme, um allen Gefolgschaft und Willfährigkeit abzupressen. Dennoch wird Winterfeldt Ende 1933 durch eine Doppelspitze abgelöst. Als neuer Präsident soll Carl Eduard Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha fungieren, als Vizepräsident Paul Hocheisen, Generalinspekteur des Sanitätswesens von SA und SS , außerdem Reichstagsabgeordneter der NSDAP .
Der Herzog dient als Galionsfigur: Als Angehöriger des Hochadels verkörpert er nach außen die traditionellen Führungskreise des Roten Kreuzes; nach innen wirkt er als fanatischer Nationalsozialist und Gruppenführer der SA . In der Praxis wird er von Hocheisen allerdings bald ausgebootet, der die Nachfolge Winterfeldts als Organisator antritt. Allein die Physiognomie von Vorgänger und Nachfolger macht die Tiefe des Einschnitts deutlich. Hier der preußische Beamte alter Schule, feinsinnig, kontrolliert, aristokratisch; dort der Parteisoldat, feist, stiernackig, polternd.
Unter Leitung des SA-Funktionärs Paul Hocheisen wird das DRK in den NS-Staat integriert. Was sich auch bei den Morgenappellen der Schwesternschaften zeigt.
links: © DRK; rechts: © G. Piper / DRK
Natürlich finden sich auch in den Reihen des Roten Kreuzes zahlreiche Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung. So beeilt sich der Geschäftsführer des Württembergischen Landesvereins, den Beitrag der Sanitätskolonnen zur Erringung der Macht festzuhalten. Seit 1930 hätte er die SA-Sanitätskameraden ausgebildet und so den Grundstein für »die Freundschaft und Zusammenarbeit mit der SA , SS und dem Stahlhelm« gelegt. »Sind wir doch in den großen Wahlkämpfen vor der Machtübernahme durch unseren Führer wie zu einem Stück zusammengeschmiedet worden.« Die Kolonnen hätten ganz wesentlich zum erfolgreichen Verlauf der Versammlungen und Umzüge beigetragen – weshalb die neuen Machthaber nun die Kampfgenossen vom Roten Kreuz auch gebührend berücksichtigen sollten.
Dabei bräuchte die Hilfsorganisation um ihren Fortbestand gar nicht zu bangen, genießt sie doch Protektion von höchster Stelle. Hitler selbst hegt eine sentimentale Verbindung zum Roten Kreuz: »Seine vorbildliche Organisation, die unerschrockene Hilfsbereitschaft seiner Sanitätsmänner und die wohltuende Pflege seiner Schwestern habe ich selbst kennengelernt.« Nach einer Splitterwunde war er 1916 acht Wochen lang in einem Rotkreuzlazarett versorgt worden. Und als er im Herbst 1918 kurzzeitig erblindete – eine Folge des Einsatzes von Giftgas –, brachte ihn ein Lazarettzug nach Pasewalk, wo er als sogenannter Kriegsneurotiker behandelt wurde. Aufgrund dieser Erfahrungen scheint Hitler dem Roten Kreuz so etwas wie Dankbarkeit entgegenzubringen; nach Hindenburgs Tod übernimmt er denn auch die Schirmherrschaft. Auch das Auswärtige Amt beteiligt sich als Fürsprecher und wirkt mäßigend auf die Führung ein, als sich Parteigenossen und SA -Mitglieder massenhaft ins Rote Kreuz einreihen, um den Marsch durch die Institution anzutreten. Obwohl Deutschland umgehend aus dem Völkerbund austritt und viele internationale Verbindungen kappt, verbleibt es interessanterweise bis Kriegsende in der weltweiten Rotkreuzgemeinschaft.
Das DRK profitiert von den neuen Machtstrukturen im Land. Im August 1933 wird der Arbeiter-Samariter-Bund verboten. Etwa ein Drittel der Mitglieder tritt zum Roten Kreuz über, das auch einen Teil der Depots und des Vermögens übernimmt. Die 52000 Neuzugänge machen den geringfügigen Schwund, der durch den Ausschluss jüdischer Mitglieder und vereinzelte Austritte aus politischen Gründen entstanden ist, mehr als wett. Abermals vollführt das Rote Kreuz damit eine grundlegende Kehrtwendung und sichert in geschmeidiger Anpassung an den Zeitgeist sein Fortbestehen. Neue Leitlinie ist nun die Konzentration auf die »Ursprungsaufgabe«, die Unterstützung des Heeressanitätsdienstes. Während sämtliche damit zusammenhängenden Bereiche – Sanitätskolonnen, Rettungsdienst, Schwesternausbildung – erweitert und
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