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Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
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Kellertreppe hinunter, verrenken ihm dreißigmal den Arm, brechen ihm die Nase und prügeln ihn grün und blau. Während das Opfer drei Wochen im Krankenhaus zubringen muss, wird Lange zum Sanitätsobersturmbannführer befördert. Arnold Levy flieht mit seiner Familie schließlich in die Vereinigten Staaten, wo er als Arzt eine beachtliche zweite Karriere macht. Auch wenn er dort seinen Namen und sogar seine Religion wechselt – einer Leidenschaft bleibt er unbeirrbar treu: Er engagiert sich im Amerikanischen Roten Kreuz.
    Im Juni 1933 hat das DRK -Präsidium beschlossen, dass »Juden, Jüdinnen oder Judenstämmlinge« keinerlei Funktionen mehr ausüben dürfen; in der Folge wird ihnen auch die einfache Mitgliedschaft entzogen. Das Organ der Sanitätskolonnen erklärt Antisemitismus gar zur »Ehrenfrage«. Der Kaufmann Ludwig Blumenbach, langjähriger Schriftführer der Kolonne im hessischen Gelnhausen, ist schon im April zum Austritt genötigt worden. Als er »zum Zwecke einer Berufsumstellung« zumindest um ein Führungszeugnis bittet, wird ihm selbst das verweigert. 1942 kommt Blumenbach im Ghetto von Lodz ums Leben.
    Solche Ausschlüsse führt das Rote Kreuz in eigener Regie durch. Als ein Betroffener sich beim Internationalen Komitee beschwert, schreibt dessen Sekretär ans DRK : »Es wäre gut, diesem Herrn so höflich wie möglich zu erklären, warum es zu manchen Zeiten ratsamer ist, daß Personen, die gewissen völkischen, politischen oder anderen Gruppen angehören, nicht in den lokalen Sektionen des Roten Kreuzes vertreten sind.« Ganz offen billigt das Internationale Komitee also bereits 1933 die gesellschaftliche Diskriminierung, die allem widerspricht, was den Geist der Rotkreuzbewegung ausmacht. Diese Ungerührtheit der Genfer Funktionäre lässt für die nächsten zwölf Jahre nichts Gutes ahnen. Die Machthaber haben von dort keinen Widerspruch zu erwarten, die Verfolgten keine Unterstützung.
    Ärzten jüdischer Herkunft wird nun gekündigt. Richard Hessberg, über zwanzig Jahre hinweg Chef einer Augenklinik in Essen, muss bereits Ende 1933 gehen, seine »Schule für fast blinde Kinder« wird abgewickelt. Emil Heymann kann noch bis Anfang 1936 am Berliner Augusta-Hospital arbeiten, zu dessen Ruf er als Pionier der Hirnchirurgie beigetragen hat. Doch fachliche Qualifikation zählt nun nichts mehr, es geht allein nach Rasse und Parteibuch. Adele Schreiber flieht in die Schweiz, Alice Salomon nach New York. Hertha Nathorff gelingt es nur dank eines berühmten Onkels, noch rechtzeitig aus Deutschland zu entkommen. Zeitlebens hat sie diese Verwandtschaft nicht publik gemacht, sie war stolz, ihre Karriere aus eigener Kraft geschafft zu haben. Nun aber rettet ihr die Fürsprache Albert Einsteins das Leben. Kurz vor ihrer Abreise hat sie noch eine bizarre Begegnung: »Frau B. kam mit ihrem Jungen zur Sprechstunde, ich sollte ihn in Hitlerjugend-Uniform bewundern. Zwei Tage und Nächte habe ich um das Kind und das Leben der Frau gerungen, bis es am Tag meiner Verlobungsfeier endlich geboren war. Dieses Kind – es steckt nun in der Uniform des Mannes, der mir und meinem Kinde den Todesstoß versetzen wird.«
    Das Schicksal jüdischer Rotkreuzmitglieder ist bis heute kaum aufgearbeitet. Es liegen keine gesicherten Zahlen vor, nur vereinzelt sind Lebensgeschichten in örtlichen Chroniken dokumentiert. Der Chirurg Albert Ettlinger, langjähriger Vorsitzender in Frankfurt am Main, wird ebenso in Auschwitz umgebracht wie Hildegard Böhme, die elf Jahre lang die Dokumentationsstelle des DRK geführt hat und Referentin für Wohlfahrtspflege gewesen ist. Es ist anzunehmen, dass unter den Opfern des Völkermords an den Juden auch zahlreiche Mitarbeiter des Roten Kreuzes waren, vor allem aus den Gesellschaften der besetzten Länder wie der Tschechoslowakei oder Polen.
    Um Konflikte mit dem Regime zu vermeiden, erklärt das Internationale Komitee, die Betreuung der Konzentrationslager obliege der nationalen Gesellschaft. Wie ungeeignet das DRK aber unter den herrschenden Umständen dafür ist, zeigt ein Brief Winterfeldts an Genf vom Oktober 1933: »Dank der Genehmigung der Regierung hat das DRK Zugang zu allen Konzentrationslagern. […] Für die Masse derer, die aus proletarischem Milieu stammen, ist der Lebensstandard höher als der, den sie im bürgerlichen Leben kannten.« Während dem Roten Kreuz der Zugang bald verwehrt wird, pocht Hitler zugleich auf Betreuung jener Nationalsozialisten, die 1934 nach einem

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