Im Zeichen der Menschlichkeit
beziehen Posten an Loipen, Pisten, Sprungschanzen und an der Rodelbahn.
Zu den größten Massenveranstaltungen der Zeit zählen die »Reichserntedankfeste« auf dem Bückeberg bei Hameln. Bei diesen »Heerschauen des Nährstandes und Wehrstandes«, wie die Zeitschrift der Sanitätskolonnen sie rühmt, sollen die Volksgenossen im Geist von »Blut und Boden« eine Art Kommunion mit sich selbst feiern. Über eine Million Menschen pilgern ins Weserbergland. In jedem der zweihundert bereitgestellten Sonderzüge fahren ein Arzt und fünf Sanitäter mit. Weitere Helfer betreuen Bahnhöfe, Parkplätze und Anmarschstraßen. Meist müssen sie nur kleinere Unpässlichkeiten und Blessuren versorgen: Magenschmerzen, Nasenbluten, Wespenstiche, ein aufgeschlagenes Knie.
Schon die Anfahrt der Parteiprominenz wird als Triumphzug inszeniert, mitsamt Salutschüssen, Fanfarenschall und »Horst-Wessel-Lied«. Auf der Festwiese huldigt das Landvolk dann dem Führer, der es auf kommende Ereignisse einstimmt: »Ich lasse Ihnen nicht umsonst bei jedem Erntedankfest die Übungen der Wehrmacht vorführen.« Eventkultur im »Dritten Reich«. In den Rotkreuzzeitschriften wird anschließend ausgiebig über diese Großeinsätze berichtet; »kampfstarke Propaganda« soll die Mitglieder auf den neuen Geist einschwören. Rein handwerklich sind die Publikationen ausgesprochen gut gemacht, weitaus attraktiver als während der Weimarer Zeit. Während nun Signalwörter wie »Krieg« und »Opferbereitschaft« immer häufiger auftauchen, verschwinden Begriffe wie »Nächstenliebe« oder »Humanität« fast gänzlich aus dem Vokabular. Adolf Hitler wird zum obersten Retter stilisiert: »Hier erleben wir die aufopfernde Pflichterfüllung für eine höhere Idee.« Selbst das Pflaster in den Sanitätskästen heißt jetzt Germaniaplast. Und das Monatsblatt der Arbeitergärten vom Roten Kreuz ziert nun ein Hakenkreuz. Über einem Bericht von epischer Länge prangt der martialische Titel »Ein Kampfbeitrag für die Erzeugungsschlacht«. Der Text selbst ist dann aber gänzlich frei von Ideologie und handelt einfach vom Honig und von den bevorzugten Nektarquellen der Bienenvölker: Mandelbäumchen, Schneeballbüsche und Rosen der Sorte »Hiawatha«.
Zu einem propagandistischen Höhepunkt gerät Anfang Januar 1937 die Rettung zweier Bergsteiger aus der Ostwand des Watzmanns. Sie spielt sich vor den Augen Hitlers ab, der die Neujahrstage vis-à-vis auf dem Obersalzberg verbringt. Er schickt fünfzig Soldaten als Verstärkung sowie den Flieger Ernst Udet, der im Sturzflug direkt an der Wand Versorgungspakete abwirft. Nach sechs Nächten am Berg können die Kletterer geborgen werden. Mit dabei ist auch der Arzt Karl von Kraus. Ein exzellenter Bergsteiger, der bereits an zwei Himalaja-Expeditionen teilgenommen hat – und eine der schillerndsten Rotkreuzfiguren jener Jahre. Für seinen Einsatz am Watzmann erhält er von Hitler persönlich eine Ehrenmedaille. Im Krieg wird er dann noch einmal für Schlagzeilen sorgen, als er mit einigen Gebirgsjägern den Elbrus erklimmt, den höchsten Berg des Kaukasus.
Wie eine Reihe von Medizinern verfolgt auch Kraus eine Doppelkarriere: in der SS , wo er es zum Hauptsturmführer bringt, und im Roten Kreuz, wo er als stellvertretender Präsident des bayerischen Landesverbands amtiert. Parallel wirkt er als Arzt im Lebensborn-Verein, jener undurchsichtigen Organisation, die Nachwuchs für die SS hervorbringen soll. Auch hier entsteht nun ein »Hilfswerk Mutter und Kind«, dessen Name an die Initiativen der Weimarer Zeit erinnert, das aber einem ganz anderen Zweck dient. Hertha Nathorff hatte werdenden und alleinstehenden Müttern dabei geholfen, im Leben wieder Tritt zu fassen. Die SS hilft ihnen nun, damit in der nächsten Generation »zwanzig Regimenter mehr marschieren«. Der Versuch, den Lebensborn auch mit dem Rotkreuzemblem auszustaffieren, wird abgewehrt. Inwieweit die SS im Zuge ihrer kriminellen Finanzierung auch Rotkreuzgelder für Himmlers Lieblingsprojekt zweckentfremdet hat, ist bislang zu wenig untersucht. Fest steht, dass der geschäftsführende Präsident des DRK später eines der fünf Vorstandsmitglieder des Lebensborn gewesen ist, DRK -Schatzmeister Pohl zugleich die dortige Verwaltung führte und dass es weitere personelle Überschneidungen gab.
Ganz neue Praktiken
1937 löst Ernst Robert Grawitz dann Paul Hocheisen ab und tritt das Amt des Geschäftsführenden Präsidenten an. Als »Reichsarzt SS « ein
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