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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne
Autoren: Federica de Cesco
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dürfen, um über ihn zu wachen und ihn während der Überfahrt zu beruhigen. Der Fürst hat meine Bitte erfüllt.«
    Er merkte nicht, dass er weinte. Die Tränen liefen ihm über die Wangen, ohne dass er versuchte, sie abzuwischen. Ich spürte das Verlangen, diese Tränen mit meinen Lippen aufzufangen.
    Plötzlich, zu meinem Entsetzen, schüttelte Hi-Uma den Kopf, nahm Sukis Handgelenk zwischen seine Zähne und umschlang es mit seinen großen, feuchten Lippen. Ich fragte erschrocken: »Fürchtest du nicht, dass er dich beißt?«
    Suki lächelte unter Tränen. »Ein Pferd beißt seinen Herrn nicht. Doch sieh …«
    Er löste sanft seine Hand, bückte sich und hob den lackierten Huf an, um mir das harte Horn zu zeigen. »Dem, der seinen Zorn erregt, spaltet er den Kopf wie eine reife Frucht!«
    Ich beugte mich vor. »Ich möchte das Himmlische Pferd besteigen. Zeig mir, wie das gemacht wird!«
    Er schüttelte den Kopf: »Das geht nicht. Hi-Uma gehört der Königin.«
    Â»Ich bin ihre Tochter!«, sagte ich herausfordernd. Unsere Augen trafen sich. Die seinen waren aufrichtig und klar; dennoch wandte er sie wie beschämt ab. Ein unterdrückter Seufzer hob seine Brust. Er machte ein Zeichen der Zustimmung.
    Â»Wenn Hi-Uma im Exil lebt, muss er sich an einen neuen Herrn gewöhnen. Ja, ich werde dir zeigen, wie er geritten wird. Aber versprich mir, dass du für sein Wohlergehen sorgst.«
    Â»Du hast mein Wort«, erwiderte ich. »Doch unter einer Bedingung: dass niemand darüber Kenntnis erhält, was du mich lehrst.«
    Wenn er überrascht war, so ließ er sich nichts anmerken und neigte zustimmend den Kopf. »Wir müssen uns beeilen. Das Schiff wird in drei Tagen in See stechen. Sei heute Nacht hier, bevor der Morgen dämmert.«
    Â»Ich komme«, versprach ich. Wieder begegneten sich unsere Blicke und diesmal sahen wir uns fest an. Das Weiß seiner Augen schimmerte bläulich. Die goldbraune Iris war wie Samt. Verwirrung stieg in mir hoch. Ich wandte mich um und entfernte mich. Mein Gewand schleifte über den Sand. Ich spürte, wie seine Blicke mir folgten …

8
    I n der Nacht konnte ich nicht schlafen. Nie zuvor hatte ich dieses Gefühl gehabt, mir einen Unbekannten so nah gewünscht! Im Geist sprach ich zu ihm: »Schlaf nicht ein! Ich verbiete dir zu schlafen! Warte auf mich, ich komme!« Mein Herz pochte, mein Gesicht war glühend heiß. Immer und immer wieder rief ich mir die Erinnerung vor Augen, sah ihn im vollen Galopp durch den Hof reiten, das Haar vom Wind zerzaust. Ich sah seinen friedlichen, leuchtenden Blick, seine weiche Haut, seinen kindlichen Hals. Ich sah sein Lächeln und auch seine Tränen. Etwas in mir wollte überquellen, zerspringen.
    Durch die milchigen Schiebewände zeichnete die schmale Mondsichel einen silbernen Bogen. Bald würde sie hinter der Felswand versinken … Als das Licht sich verdunkelte, erhob ich mich, zog ein kurzes Gewand an und Beinkleider, wie die Männer sie tragen. Wie immer hatte Miwa ihre Schlafmatte vor meine Türschwelle gezogen. Sie atmete laut und mit offenem Mund. Ich stieg über ihren schlafenden Körper und stahl mich hinaus. Die wachhabenden Posten senkten leicht ihre Speere zum Gruß. Ihre unbeteiligten Blicke streiften mich. Verschwiegenheit gehörte zu ihrer Dienstpflicht.
    Die Nacht war feucht und kalt. Der Sand schimmerte salzweiß im Sternenlicht. In seinem Verschlag lag das Pferd ausgestreckt auf dem Strohlager. In eine Decke gewickelt, schmiegte sich Suki an seine Flanke. Er schlief nicht, denn als ich mich näherte, richtete er sich auf. Er schnalzte mit der Zunge und Hi-Uma erhob sich schwerfällig. Stumm rollte Suki einige Tücher zusammen und band sie um die Hufe des Tieres, um deren Geräusch zu dämpfen.
    Einen Augenblick später überquerten wir den Hof. Der mächtige Schatten des Pferdes zeichnete sich messerscharf auf dem weißen Sand ab. Die Schilde der Torwachen glänzten in der Dunkelheit. Suki warf mir einen besorgten Blick zu. Ich beruhigte ihn mit einem Lächeln. Die Wachen grüßten, als wir vorüberschritten.
    Wir gingen durch das Tor und den Pfad hinunter, der zum Heiligtum führte. Dort bogen wir ab und folgten eine Weile dem steilen Ufer des kleinen Ima-Flusses. Das Wasser rauschte und plätscherte gegen die Steine. Die Schilfrohre knisterten im Wind.
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