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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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begannen Nomaden aus den westlichen Steppen, die sich Tungusen nannten, ihre Wanderung. Sie ritten auf großen Tieren, die sie gezähmt hatten. Tieren mit langem Schweif und wogender Mähne, deren Atem sich in Meeresschaum verwandelte …«
    Die Röte stieg mir ins Gesicht.
    Â»Ich kenne ein solches Tier! Es wurde der Königin als Geschenk überreicht. Wir nennen es das ›Himmlische Pferd‹.«
    Die Hüterin des Heiligtums machte eine Gebärde der Zustimmung und fuhr dann fort:
    Â»Die Tungusen ließen sich im Süden des Festlandes nieder, wo sie ihre Hauptstadt Nimana erbauten und das Königreich von Kara gründeten. Da sie Verbündete suchten, nahmen ihre Herrscher Verbindung mit den Königen von Yamatai auf. Eines Nachts hatte der Tungusenkönig Yu-Ta einen seltsamen Traum: Er sah zwei Pfirsichbäume ihre Wurzeln verknüpfen und zu einem einzigen Baum zusammenwachsen, der drei Früchte trug. Yu-Ta holte Rat bei einer Priesterin, die ihm den gemeinsamen Ursprung unserer beiden Völker enthüllte. Die drei Früchte des Pfirsichbaumes versinnbildlichen die Geburt eines neuen Herrschergeschlechtes. Zutiefst bewegt schwor der Tungusenkönig nicht nur, niemals die Waffen gegen das ›Land-inmitten-der-Schilfrohrfelder‹ zu erheben, sondern versprach darüber hinaus, ihm in Zeiten der Gefahr beizustehen. Dieses Versprechen, das sich auf die späteren Generationen übertrug, wurde ›Bündnis des Pfirsichbaumes‹ genannt.«
    Â»Jetzt verstehe ich«, sagte ich nachdenklich, »warum uns die Sprache der Tungusen vertraut ist.«
    Mit langsamen, stetigen Bewegungen ließ die Priesterin das Schiffchen laufen.
    Â»Von eurer gemeinsamen Abstammung ist nur noch eine Spur in euch vorhanden, die zu verwehen droht wie Asche im Wind. Es ist daher notwendig, sie zu stärken und eure Lebensanschauungen in Einklang zu bringen. Dabei ist es unerlässlich, die Reinheit der königlichen Linie und damit die überlieferten Gaben zu bewahren. Nur so kann die Zukunft unseres Volkes auf festen Grundlagen ruhen.«
    Tiefes Schweigen. Ich dachte an Suki und wagte es nicht, das Gesicht zu erheben, aus Furcht, meinem Namen Schande zu machen, denn meine Wangen waren tränenfeucht. Jetzt erst begriff ich den folgenschweren Fehler, den ich begangen hatte; und warum es Sukis Los gewesen war zu sterben. Ich verbarg das Gesicht hinter meinem Ärmel. Doch der klare Blick der Priesterin schien bis auf den Grund meiner Seele zu dringen.
    Â»Meine Tochter«, sprach sie gütig, »hege keinen Groll gegen das Schicksal. Lange vor deiner Geburt war dein Weg bereits vorgezeichnet. Die drei adeligen Kinder, die dein Ahne Watatsumi-no-Mikoto in direkter Abstammung von Izanagi zeugte, verkünden den Beginn einer neuen Zeit. Ihre Zeichen sind die Sonne und das Strahlende Leben, der Mond und die Weisheit, der Ozean und die Stürme. Doch nur eine Tochter von zweifach königlichem Blut kann die notwendige Verbindung eingehen, den Übergang zwischen dem Vorher, dem Jetzt und dem Nachher einleiten.«
    Sie legte die Hände auf die Knie und wandte mir ihr bleiches, von der Sonne beleuchtetes Gesicht zu. Ich schlug die Augen nieder. Eine Art Lähmung bemächtigte sich meiner Gedanken. Die Antwort auf die Frage, die mich schon immer bewegte, war in Reichweite, doch sie glich einem schwimmenden Holzstück auf dem Wasser, das jedes Mal, wenn ich danach griff, unter die Oberfläche tauchte. Einige Atemzüge lang herrschte Schweigen. Dann erhob sich die Priesterin mit leichter, federnder Bewegung. »Komm«, sagte sie. »Ich werde dir etwas zeigen.«
    Ich folgte ihr, wie es sich geziemte, im Abstand von drei Schritten. Wir wanderten durch einen Gang, in dem das Tageslicht nur durch schmale, in die Wand gehauene Spalten sickerte. Er verlief spiralförmig und stieg unentwegt an. Die bloßen Füße der Priesterin glitten geräuschlos über die Fliesen. In der Ferne schlug die Brandung an die Felsen. Schließlich wurde es heller. Feuchte Seeluft schlug uns entgegen. Durch eine Öffnung vor uns im Gang schien grell die Sonne. Ich hob geblendet die Hand vor die Augen.
    Wir befanden uns auf der höchsten Stelle der Insel. Ringsum fielen die Klippen steil in die Tiefe. Himmel und Ozean vereinten sich in saphirblauem Funkeln. In weiter Ferne erblickte ich den Küstenstreifen von Yamatai, die grünen Hänge der Reisfelder, die

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