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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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sanft ansteigenden Hügel. Am Horizont schwammen im violetten Dunst die rauchenden Zwillingskegel des Ehiko-Vulkans.
    Ich war wie berauscht. Der überwältigende Anblick erweckte in mir das Gefühl der eigenen Geringfügigkeit und erfüllte mich dennoch mit nie gekanntem Frieden und Selbstvertrauen.
    Die Priesterin gab mir ein Zeichen, ihr zu folgen. Der Hof, in den sie mich führte, war gepflastert. Die roten und schwarzen Fliesen bildeten ein eigenartiges Muster. Beim näheren Betrachten merkte ich, dass sie ein schlangenartiges Motiv darstellten. In der Mitte des Hofes glänzte ein mächtiger Basaltblock. Die alte Frau schritt langsam darauf zu. Ich folgte ihr, wobei ich achtgab, nicht auf ihren Schatten zu treten. Dicht vor dem Stein erblickte ich zwischen den Bodenplatten einen schmalen Spalt, der tief in den Felsen ging. Darin glühte es rot. Ein dünner Rauchfaden stieg empor. Ich spürte einen warmen Hauch und fauligen Schwefelgeruch.
    Â»Unter diesem Steinblock«, sagte die Priesterin, »ruht dein Ahne Watatsumi-no-Mikoto. Der Spalt, den du vor dir siehst, ist älter als unser Königsgeschlecht. Er führt bis in das glühende Herz der Erde, wo sich die gewaltigen Kräfte ballen, die in längst vergangenen Zeiten das Festland gesprengt haben. Wenn diese Kräfte auch Jahrhunderte hindurch schlummern, so wisse, dass sie sich in gewissen Abständen wieder erheben und die Erdkruste durchbrechen …«
    Ihre Stimme verlor sich in einem Seufzer. Trotz der Hitze spürte ich, wie ich erschauerte.
    Â»Tritt näher!«, sagte die Hüterin des Feuers. »Sieh!«
    Ich gehorchte. Durch den gelblichen Schwefeldunst erblickte ich eine in den Basaltblock eingekerbte Zeichnung. Das Motiv erschien mir gleichzeitig vertraut und doch fremd. Ich beugte mich vor, um besser sehen zu können. Die fauligen Dünste nahmen mir den Atem. Ich hustete und würgte. Doch mit einem Mal erkannte ich die Darstellung: Es war das Sternbild des Orion! Und nun wusste ich auch, warum mir die Zeichnung so fremd vorkam: Das Sternbild war mit verdrehter Achse dargestellt, so wie es die Großen Vorfahren in längst vergangenen Zeiten am Himmel erblickt haben mussten.
    Ich taumelte, fiel auf die Knie. Meine feuchte Stirn schlug gegen den Boden. Zitternd verneigte ich mich vor dem Grab des letzten Königs der Himmlischen Linie von Izanami.

11
    I ch verbrachte fünf Tage auf der Heiligen Insel. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang unterwies mich die Hüterin des Heiligtums. Sie führte aus, was sie bei unseren ersten Gesprächen nur angedeutet hatte. Unser vertrautes Verhältnis glich dem zwischen einer Ahnin und ihrer Enkelin. Ich wurde nicht müde, ihr zuzuhören. Der Drang, mehr Wissen zu erlangen, erfüllte mich ganz, denn alles, was ich auf der Heiligen Insel lernte und sah, war für Yamatai und meine zukünftige Herrschaft von grundlegender Bedeutung. Doch konnte ich mich des beunruhigenden Eindrucks nicht erwehren, dass die Priesterin Dinge wusste, die mich betrafen und die sie mir aus geheimnisvollen Gründen verschwieg.
    Gleichwohl waren meine Nächte ruhig. Ich schlief tief und entspannt unter der Obhut des schützenden Sternbildes. Mir fiel auf, dass ich niemals träumte. In diesen fünf Tagen stieg oft das dumpfe Grollen aus der Tiefe. Es war, als ob die dunklen Mächte im Erdinnern ihre Kräfte erprobten. Die Hüterin des Feuers schwieg dann. Ein Ausdruck höchster Wachsamkeit überzog ihr Gesicht. Doch sobald Stille eintrat, sprach sie weiter, als ob nichts geschehen wäre. Und auch ich rührte mich nicht, noch zeigte ich die geringste Furcht, trotz meiner Beklemmung.
    Am letzten Abend, bevor ich die Insel verließ, führte mich die alte Frau in einen Saal, in den das Licht durch einen viereckigen Schacht in der Decke fiel. Trotz seiner Schlichtheit kam mir dieser Saal prachtvoll und erhaben vor. Zwischen zwei rot bemalten Säulen war eine »Shimenawa«, eine »Schnur der Läuterung«, gespannt, die die heiligen Dinge von den weltlichen trennte. Sie war armdick und aus geflochtenem Reisstroh. Weiße Votivbänder aus feinstem Leinen waren daran befestigt. Hinter den Säulen stand ein steinerner Altar.
    Die Sonne sank; das Stück Himmel über uns schimmerte mohnrot. Die Priesterin hielt ihre Fackel über die vier Räucherschalen in den Ecken des Saales. Der Stoff ihres Gewandes raschelte bei

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