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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Nebel waren aufgezogen. Das Wasser hatte eine seltsame, fast rötliche Färbung angenommen. Trotz der Windstille hörte ich die Wogen mit schwerem, auf- und abschwellendem Rauschen gegen die Klippen schlagen. Darüber hinaus drangen kein Flügelschlag, kein Vogelruf an mein Ohr. Eine unheimliche, dumpfe Stille umgab die Insel und trotz der frühen Stunde war die Luft drückend heiß.
    Eilig kleidete ich mich an und ordnete mein Haar, um zu der Hüterin des Feuers zu gelangen. Sie kniete auf einem weißen Kissen. Eine Gebetsschnur aus Bernstein lag um ihre gefalteten Hände. Ich verneigte mich stumm. Etwas auf ihrem Gesicht, in ihren Augen verbot mir jede Frage. Traumbefangen blickte sie ins Leere. Ihr Geist schien so weit entrückt, dass nichts mehr in ihrer Umgebung für sie wahrnehmbar war.
    In schweigender Unruhe trank ich den grünen, schäumenden Tee, den mir die Dienerin brachte. Als ich meine Schale geleert hatte, löste sich die Hüterin des Heiligtums aus ihrer Andacht. Sie erhob sich und sagte schlicht: »Komm. Es ist Zeit.«
    Mit ihrem leichten, schwebenden Schritt wanderte sie durch die Gänge. Ich bemerkte einen rötlichen Belag auf den Bodenplatten, der ihre Fußabdrücke deutlich sichtbar werden ließ. Der gleiche Staub hing in der stickigen Luft und roch stark nach Salpeter. Immer noch schweigend, geleitete mich die Priesterin durch den Vorhof bis zu der zum Strand führenden Steintreppe.
    Oberhalb der Stufen blieb sie stehen, wandte mir ihr blasses Antlitz zu.
    Â»Geh jetzt«, sagte sie sanft. »Du wirst im Boot alles für die Überfahrt Notwendige vorfinden.«
    Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Ihre schmale Gestalt, das silbrige Haar, die weiten Flügelärmel verwandelten sie in einen großen, blassen Vogel, der in schwereloser Anmut am Rande der Klippen schwebte.
    Demütig flüsterte ich: »Wird es mir erlaubt sein zurückzukehren?«
    Die dunklen Augen schienen mich aus weiter Ferne zu betrachten.
    Â»Ja. Aber nur ein einziges Mal.«
    Ich verneigte mich tief, verharrte einige Atemzüge lang in dieser Stellung. Als ich die Augen wieder hob, war die Priesterin verschwunden. Ein unbestimmtes Schmerzgefühl erfasste mich. Es war, als ob eine Wunde sich langsam in mir auftat. Mir schien, als hätte ich nicht fünf Tage, sondern fünf Jahre auf der Heiligen Insel verbracht; ich wusste bereits, dass meine Seele die Sehnsucht nach dieser Zeit für immer und ewig bewahren würde.
    Die Steine brannten unter meinen Fußsohlen und ließen mich in die Wirklichkeit zurückfinden. Hastig lief ich die Stufen hinunter. Das Boot lag an der gleichen Stelle, an der ich es verlassen hatte. Ich fand Gerstenkuchen, Reis und eine mit Wasser gefüllte Kürbisflasche darin. Die Hitze verwandelte den Sand in glühende Asche. Ich machte die Leine los, schob das Boot ins Wasser und stieg ein. Keuchend stieß ich mich mit dem Paddel ab und setzte das Boot in Bewegung.

    Schwer und träge breitete sich das Meer aus. Das Boot glitt über die stumpf glänzenden Wellen hinweg. Der Dunst, der mit albtraumhafter Langsamkeit über die Wasserfläche trieb, hüllte die Felswände ein. Alle Umrisse verloren sich in unbestimmter Ferne. Die Heilige Insel schien in Raum und Zeit zu versinken und hinterließ in mir ein schmerzliches Gefühl der Verlassenheit.
    Die Zeit verging. Schweiß rann in warmen Tropfen über meinen Rücken. Meine Glieder waren bleischwer, die Lippen salzverkrustet. Immer stärker roch die Luft nach Schwefel und Salpeter. Hustenanfälle schüttelten mich. Ich hatte entsetzlichen Durst und mein Wasservorrat verringerte sich beängstigend schnell. Bald bedeckten Blasen meine brennenden Handflächen. Ich wickelte Stofffetzen um die aufgeplatzten Wunden. Die geheimnisvolle Warnung der Priesterin ging mir nicht aus dem Sinn. Mein Herz hämmerte vor Angst und Erschöpfung.
    Es dämmerte bereits, als ich die Küste erreichte und das Boot in den Hafen lenkte. Ich spürte trotz oder vielleicht gerade wegen der Stille, dass mich etwas Unheimliches und Furchterregendes umgab, etwas, was ich nicht beim Namen zu nennen vermochte.
    Die Segel sämtlicher Schiffe hingen schlaff an den Masten. Die Fischerboote lagen wie gestrandete Muscheln auf dem Sand. In den Schmieden waren die Feuer erloschen. Vor Speichern und Lagerschuppen stapelten sich Warenballen, aber kein Mensch war

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