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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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schüttelte seine Brust.
    Â»Es gab große Verwirrung, Prinzessin. Schreie, Weinen, Ohnmachten! Doch sie , sie hat sich nicht gerührt. Überhaupt nicht gerührt. Sie sah mich an, weiter nichts. Sie hatte dein Gesicht, Toyo-Hirume-no-Miko … das gleiche Gesicht …«
    Er streckte die Hand aus. Drohung? Liebkosung? Seine Finger berührten mein Haar. Regungslos sah ich ihm in die Augen. Er zog die Hand zurück. Seine Stimme wurde noch leiser, kaum hörbar. Ich las die Worte von seinen Lippen ab.
    Â»Dann erhob sie sich und erteilte ihre Befehle. Sie legte ihr weißes Trauergewand an und befestigte ein Eichenblatt an ihrem Stirnband. Kuchiko ließ ihre Sänfte kommen. Sie ließ sich zur Himmlischen Grotte von Awajima tragen und das Volk begleitete sie mit seinen Klagen. Am Ziel ihrer Reise sprach sie: ›Ich ziehe mich in die Himmlische Grotte zurück, um nachzusinnen und zu beten. Ich verbiete bei Todesstrafe, dass meine Ruhe gestört wird.‹«
    Er atmete schwer. Seine Faust krampfte sich um den Griff der Peitsche. Das geflochtene Leder ringelte sich wie eine Schlange.
    Â»Kaum hatte sich meine edle Schwester in die Grotte zurückgezogen, da verfinsterte sich die Sonne, und die Vögel verstummten. Verwirrung und Schrecken breiteten sich über Yamatai. Die Menschen flüchteten in die Häuser, verschlossen Türen und Fenster und versammelten sich in den mittleren Räumen. Sie glaubten, dass der Himmel bersten, die Erde sich auftun und das Ende des ›Landes-inmittender-Schilfrohrfelder‹ nahte.«
    Er fuhr sich mit der Hand über die Lippen. Eine Speichelspur glänzte an seinem Kinn. Und all diese Zeit, während das Grauen in mir wuchs, flackerte noch die Hoffnung, dass ich fähig wäre zu verstehen. Hi-Umas Tod? Ja, gewiss: Gekränkte Ehre mochte Rache verlangen! Doch warum dieses unglaubliche Verhalten? Diese sinnlose Gewalttätigkeit? Von ihm kam kein Zeichen, das mich erlöst hätte. Ich las keine Botschaft in seinem Gesicht, nur Wut und beißenden Hohn, und wenn ich gekonnt hätte, ich hätte ihn totgeschlagen. Doch während der Zorn in mir wie Fieber stieg, kamen mir die Worte der Priesterin in den Sinn: »Vergiss nie, dass die eigentliche Wirklichkeit nicht im äußeren Schein liegt.« Der Gedanke brachte mich zur Vernunft. Ich wusste, sie hatte die Wahrheit gesprochen. Die Wirklichkeit war, dass er und ich uns ergänzten, dass wir zusammengehörten wie die zwei Hälften eines Sterns, zersprungen und erloschen nach seinem Sturz auf die Erde. Aber die Wirklichkeit war auch diese blutgetränkte Haut, war die Finsternis, waren die Fliegen, und mit jedem Atemzug merkte ich, dass ich Macht über ihn gewann. Alle spürten es. Ja, auch er. Denn je hartnäckiger ich schwieg, desto mehr forderte ich ihn heraus, und das war es, was ich im Grunde meines Herzens wollte. Scharf hielt ich meinen Blick auf ihn gerichtet, sah, wie seine Züge sich verzerrten, wie er mit heftigem Schwung den Arm hob. Ich spürte den Luftzug, als die Peitsche zischend mein Haar streifte und das Echo seiner Stimme von den Mauern widerhallte.
    Â»Hört nur, Prinzessin, wie die stolzen Krieger von Yamatai weinen und stöhnen im einfältigen Glauben, die Große Erlauchte Göttin würde sie vernichten und die Welt verwüsten! Ihr aber wisst, dass das Ende zum Anfang wird und der Anfang zur Vollendung. Ich, Prinz Susanoo, bestätige dies im Festhalten meines Zorns!«
    Mit aller Kraft ließ er die Schnur auf die aufgespannte Pferdehaut klatschen. Das Fell schaukelte zwischen den Pfählen. Der Gestank nach Verwesung schlug mir ins Gesicht. Summend schwirrten die Fliegen auf. Ich fühlte sie auf Mund, Augenlidern und Haaren. Die Menge wich mit entsetztem Flüstern zurück. Was würde geschehen? Nichts. Es geschah nichts. Wieder klebten die Fliegen an der blutigen Haut. Einzig Susanoos keuchende Atemzüge waren in der Stille zu hören und am Himmel war nur noch ein schwaches glutrotes Leuchten.
    Da hob ich langsam und feierlich die Arme, löste aus meinem Haar den Heiligen Kamm und hielt ihn mit beiden Händen vor mir hoch. Laut und deutlich sprach ich und alle Menschen standen da und hörten zu.
    Â»Ich, Prinzessin Toyo, Priesterin der Sonne, klage dich, Susanoo, der Schandtat und des Frevels an. Dein Name falle dem göttlichen Zorn anheim. Er sei verflucht für die künftigen

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