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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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schweben schien, dass auf ihrer Oberfläche geheimnisvolle Formen sichtbar wurden. Keiner schlief: Bis zum Morgengrauen heulten die Hunde.
    Ein unheimlicher Tag brach an. Nebel lastete auf den Bergen. Schwefel- und Fäulnisgeruch verpesteten die Luft. Merkwürdige Zeichen mehrten sich: Die Erde dampfte, das Brunnenwasser versiegte, die Tiere des Waldes näherten sich schutzsuchend der Stadt. Dann - gegen Mittag - breitete sich ein feuerrotes Licht über den Horizont aus:
    ein riesiges Aufflackern, begleitet von einem ohrenbetäubenden Donnerschlag. Es war, als ob ein Berg in Stücke zerbarst! Asche und tote Vögel fielen vom Himmel. Stoßwellen erschütterten den Boden. Dann ballte sich eine gewaltige schwarze Wolke über dem Ozean zusammen und aus den Tiefen des Himmels entfesselte sich der Orkan. Der Sturm fegte über die Bucht, entwurzelte Bäume, zersplitterte die Holzwände und wirbelte die Strohdächer empor. Ganze Berghänge kamen ins Rutschen, der Schlamm wälzte sich über die Reisfelder. Die Fischerboote zerschellten wie Nussschalen. Die großen Schiffe im Hafen rissen sich los und wurden gegen den Damm geschleudert.
    Erst nach drei Tagen und drei Nächten ließ das Unwetter nach. Der Wind vertrieb den Schwefelgeruch, doch die Wolken lösten sich nicht auf. Unaufhörlich hämmerte der Regen. Im Schmutz der aufgeweichten Straßen hatten Bauern aus den verwüsteten Tälern ihre Lager aufgeschlagen und bettelten um Almosen. Klagerufe wurden laut: »Die Sonnenkönigin hat sich in die Himmlische Grotte zurückgezogen! Solange sie nicht zurückkommt, werden Finsternis und Grauen herrschen. Unsere Häuser sind zerstört, unsere Ernten vernichtet. Hungersnot und Armut bedrohen unser Land …«
    Voller Verzweiflung vernahm ich das Wehklagen des Volkes. Was konnte ich tun? Vor meinen inneren Augen vermeinte ich, meine Mutter zu sehen. In der Grotte des Berges Awajima kniete sie regungslos und in stiller Entrücktheit. Ihre weit geöffneten Augen blickten ins Leere. In tiefes Nachdenken versunken, hielt sie Zwiesprache mit der Gottheit. Sie nahm keine Nahrung, kein Wasser zu sich, spürte weder Kälte noch Schlaf. Ihr Herz klopfte langsam, kaum dass sie noch atmete. Das Brausen der Wellen, die Donnerschläge des Orkans hörte sie ebenso wenig wie das Flehen und Klagen ihres Volkes.
    Etwas musste geschehen. Ich bat meinen Verehrungswürdigen Onkel, Majestät-Wächter-des-Mondes, den Rat einzuberufen. Frauen und Männer kamen am »Ort des Mittelpunktes« zusammen. Schlamm und Asche hatten ihre Gewänder beschmutzt. Trotz des zur Schau getragenen Gleichmuts prägten Kummer und Sorge alle Gesichter. In der bedrückenden Stille war nur das Rascheln der Stoffe zu vernehmen, als die Edelleute ihre Plätze einnahmen. Der Regen trommelte, das Wasser rann plätschernd über das Dach. In der Dämmerung warfen die Fackeln ein trübes, rauchiges Licht. Mein Onkel saß als Regent auf einem einzelnen Kissen. Ganz in Weiß gekleidet, den Heiligen Kamm über der Stirn befestigt, kniete ich mit gesenkten Augen hinter ihm. Jeder wusste, dass der Rat auf meine Anweisung hin einberufen worden war.
    Der , dessen Name verflucht ist, war nicht anwesend. Er hielt sich in seinen Gemächern auf und ließ niemanden in seine Nähe. Selbst den Dienern war der Zutritt verwehrt. Es hieß, dass er keinerlei Nahrung zu sich nahm, sich weder wusch noch kämmte.

    Als Erster sprach Admiral Oya, ein zurückhaltender Mann mit vornehmem Gesicht. Er berichtete, dass fast ein Drittel der Flotte vom Orkan zerstört worden sei. In Amôda selbst war die Lage besorgniserregend. Wir hatten kein Trinkwasser mehr und die Lebensmittelvorräte schrumpften dahin. Ratten drangen in die Getreidespeicher ein. Viele Menschen litten an Haut- und Augenkrankheiten. Ein heimtückisches Fieber befiel Kleinkinder und alte Leute.
    Danach ergriff Sire Takeuchi, Lehnsherr des Bezirks von Siema, das Wort:
    Â»Im ganzen Land verderben die Früchte auf den Feldern. Das Getreide schimmelt in den Säcken. Kommt der Wind von Süden, verdunkelt sich die Luft, sodass man die Hand nicht mehr vor Augen sehen kann. Staubige Asche dringt in Augen, Mund und Lungen. Alle Flüsse treten über die Ufer, zerstören Dämme, verwüsten die Äcker.«
    Im düsteren Schweigen, das folgte, straffte Dame Yagami, die Älteste der Versammlung,

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