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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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ihren spindeldürren Körper und rief: »Wahrlich! Die Große Erlauchte Göttin verwehrt uns ihre Gnade! Welches Sühneopfer müssen wir darbringen, um ihr Wohlwollen wiederzuerlangen?«
    Die Antwort kam von Sire Isahak, dem Herrn über die Schmiede, der erbost seinen Säbel rasseln ließ. Er machte ein angewidertes Gesicht und rief mit grollender Stimme:
    Â»Wir alle waren Zeugen der schändlichen Tat, die der , dessen Name verflucht ist, verübte. Er allein hat durch seinen Frevel unser Unglück heraufbeschworen. Er verdient, dem Volk ausgeliefert und hingerichtet zu werden. Nur seine Bestrafung wird den göttlichen Zorn von uns abwenden.«
    Dieser Ausbruch verschlug den Anwesenden die Sprache. Er kam so unerwartet, dass Stille eintrat und ich mich selber atmen hörte. Gab es etwas Schmerzlicheres für mich als diese Worte? Und überhaupt, trafen sie den Kern der Wahrheit? Oder war diese Wahrheit so beunruhigend und unerklärlich, dass alle sich täuschen ließen? Noch während ich so dachte, brach der Tumult los. »Das ist richtig! Er soll hingerichtet werden!«, riefen die einen. Die anderen, umsichtiger oder weiser, beschränkten sich darauf, unbestimmt zu murmeln oder Blicke zu tauschen. Herausfordernd starrte Sire Isahak den Regenten an. Seine kehlige Stimme übertönte den Lärm: »Möge Eure Majestät das Urteil fällen! Es geht um das Schicksal unseres Volkes.«
    Wieder trat Schweigen ein. Erwartungsvolle Stille senkte sich über den Raum. Ich konnte sehen, dass Sire Isahak durch sein Ungestüm zwar nicht in der Achtung der Ratsteilnehmer stieg, zweifellos aber einen tiefen Eindruck bei ihnen hinterließ. Doch Tsuki-Yomi, auf den es jetzt ankam, bewegte nach wie vor gelassen seinen Fächer.
    Â»Sind wir, die wir hier versammelt sind, ausreichend über die Zusammenhänge unterrichtet, sodass wir uns anmaßen könnten, über Leben und Tod zu entscheiden? Es ist das Vorrecht der Königin zu beschließen, auf welche Weise sie den Hohen Herrn, ihren Bruder, zu bestrafen gedenkt.«
    Sire Isahaks Gesicht färbte sich dunkelrot, seine Stirnader schwoll an. Aber der Regent hatte entschieden. Sire Isahak gab sich geschlagen und ließ sich mit steifer Verbeugung auf seinem Platz nieder. Ich saß währenddessen, den Kopf auf die Brust gesenkt, vollkommen still. Doch die Beklemmung war aus meinem Herzen gewichen.
    Als sich alle beruhigt hatten, ergriff Tsuki-Yomi erneut das Wort:
    Â»Es scheint mir erforderlich, dass die Königin baldmöglichst zu ihrem Volk zurückkehrt. Wie könnten wir das erreichen? Lasst uns gemeinsam darüber nachdenken und eine Entscheidung treffen.«
    Lebhafte Erörterungen setzten ein. Wie konnte man, ohne den Befehl der Herrscherin zu missachten, sie aus ihrer Entrückung in die Wirklichkeit zurückholen?
    Â»Ihr Wille ist Gesetz«, sagte mein Vetter, Sire Koyane, ein heiterer Mann, der die Dichtkunst und Musik liebte. »Sucht ihr Geist eine Ruhepause, wäre es schändlich, ihren Frieden zu stören.«
    Mein anderer Vetter, Sire Futodama, meldete sich übereifrig zu Wort. Seit die Königin die Stadt verlassen hatte, herrschte absoluter Notstand. Sein Vorschlag war, in die Grotte einzudringen und die Königin gewaltsam ans Tageslicht zu zerren. »Möge sich einer von uns dem Wohl aller opfern. Wenn der Hohe Rat mir die Erlaubnis erteilt, so bin ich selbst bereit …«
    Weiter kam er nicht, weil die alte Dame Yagami erbost mit den Händen fuchtelte.
    Â»Ach, was müssen wir uns da anhören!«, fuhr sie ihn an. »Warte nur ab, du eitler Grünschnabel! Der Fluch der Königin wird dich verfolgen. Auf dem Schlachtfeld oder wo auch immer.«
    Schamrot verneigte sich der unglückliche Futodama und mischte sich nicht mehr ein. Man sollte meinen, dass vernünftige Menschen brauchbare Vorschläge bringen würden. Doch als jemand empfahl, die heiligen Hähne vor die Grotte zu bringen, damit sie mit ihrem Krähen die Sonne hervorlockten, hatte ich es endgültig satt. Ich hob meinen Fächer zum Zeichen, dass ich sprechen wollte. Aller Augen richteten sich auf mich. Mit höflicher Verbeugung erteilte mir mein Onkel das Wort. Ich machte ebenfalls eine lange, tiefe Verbeugung, bevor ich sagte:
    Â»Möge der Hohe Rat seine Entscheidung auf später verschieben. Ich werde heute Abend das Orakel befragen.«

    In den Abendstunden

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