Im Zeichen der Roten Sonne
Ungnade gefallen war, mochte ihr Genugtuung bereiten. Doch dies bekümmerte mich im Augenblick wenig.
Als sie sich kurze Zeit später auf der Schwelle verneigte, war mir in meiner Erschöpfung, als hätte sich plötzlich ein bunt schillernder Vogel vor der Schiebetür niedergelassen. Den Umständen entsprechend war ihr Gewand schlicht, doch aus blauer Seide. Ihr knielanges Haar war rot gepudert und schimmerte im Fackellicht wie ein prächtiges Gefieder. Als sie gerufen wurde, hatte sie eilig Schminke aufgetragen. Nun hatte der Regen die Farben auf dem matten Ockergelb ihrer Wangen verwischt. Ich wusste, dass ihre Lippen von sehr starkem Rot mit erstaunlicher Geschicklichkeit ein süÃes Lächeln formen oder sich verächtlich zu verziehen vermochten.
Wir wechselten die üblichen BegrüÃungsformeln. Dann brachte Tsuki-Yomi mit der Eleganz, die er in den heikelsten Situationen zu wahren wusste, seine Bitte vor. Auf einem seidenen Kissen kniend, die Falten ihres Gewandes um sich ausgebreitet, wedelte Ama-no-Uzume ausdruckslos mit dem Fächer. Was mochte sie denken? Ob sie erschrocken war? Oder war sie nur überrascht?
»Würdet Ihr bereit sein, dies zu tun?«, fragte Tsuki-Yomi sie schlieÃlich. Bevor sie antwortete, wandte mir die junge Frau leicht den Kopf zu. Als sich unsere Blicke trafen, wurde ihr Lächeln ausgesprochen belustigt. Ich wusste nicht, welchen Blick sie für mich hatte, den Blick der Taube, Eule oder Schlange. Doch es kümmerte mich wenig. Das Orakel hatte zu mir gesprochen und nicht zu ihr. Ich sah sie kühl an, verzichtete auf irgendwelche Worte. Sie mochte spüren, dass da etwas war, was auÃerhalb ihres Gesichtskreises lag. Plötzlich, wie eine schnell gezückte Waffe, grub sie die weiÃen Zähne in die Unterlippe. Sie lieà ihre Augen, die wirklich bezaubernd waren, von mir und richtete sie auf den Regenten. Ihr Antlitz war wieder ausdruckslos. Sie verbarg ihre Gefühle; es wäre nicht klug gewesen, sie zu zeigen. Und als sie sprach, hatte ihre Stimme genau den richtigen Ton, einschmeichelnd, voller liebenswürdiger Demut:
»Ich danke Euch, Sire, für Euer Vertrauen. Es wird für mich eine groÃe Ehre sein zu gehorchen.«
14
D ie Brandung rauschte und schäumte an den Klippen. Tief hingen die Wolken herab. Es regnete in Strömen und es war eiskalt.
Langsam und schwerfällig erklomm der Zug der königlichen Sänften den Berghang. Klebriger Aschestaub, der nach Schwefel roch, hing in der Luft. Er legte sich auf die Haut, drang in Nase, Mund und Augen, verursachte Brechreiz und Husten. Der Zug bewegte sich im Schutz der Leibgarde. An der Spitze schritten die Waffenherolde und Standartenträger, alle durchnässt, verschmutzt und stolpernd. Die Sänften schwankten hin und her wie Boote im Seegang. Die Träger stapften keuchend, mühevoll ihre Last schleppend. Sie vermochten sich nicht mehr auf ihre Augen zu verlassen, denn alle Formen waren zu unbestimmten Schatten geworden. Immer weiter ging es aufwärts, Schritt für Schritt, Windung um Windung. Hinter den Kriegern folgte die Menge zu FuÃ, mit dumpfem Scharren. Schwärme von Fliegen folgten den Menschen, während sie, auf Hirtenstäbe gestützt, langsam voranschritten. Kleine tote Tiere oder Vögel lagen im Schlamm. Da und dort hatten heiÃe Dämpfe die Erde durchbrochen. Warnschreie wurden laut, wenn sich Steine plötzlich lösten, polternd und sirrend den Hang hinabsprangen.
Auf halbem Weg schob ich die geschlossenen Vorhänge einen Spalt auseinander und spähte über die Bucht. Dort, wo sich die Heilige Insel in Nebelschleiern verbarg, schien ein helles Feuer zu brennen. Ein Schauer durchlief mich und mein Herz schlug schneller. Was bedeutete das Licht dort? Wer hatte es angezündet? War es ein Signal, das mir die Hüterin des Feuers übermittelte?
Der eisige Wind formte aus den Wolken bleifarbene Vorhänge, bis ein halb verborgener, hoher Basaltkegel in Sicht kam. Die Felswand ragte einsam und schwindelerregend steil aus dem Nebel. Ein finsterer, senkrechter Spalt, wie von einem gewaltigen Schwerthieb hinterlassen, führte in die Himmlische Grotte. Ich wusste, dass eine Ãffnung zum Meer hin bestand, durch die jeden Morgen der erste Sonnenstrahl in die Grotte fiel. Voller Besorgnis dachte ich an meine Mutter. Sie hatte weder Nahrung noch Trinkwasser mitgenommen. Ob sie überhaupt noch am Leben
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