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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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warf ihn zu Boden. Nur ein winziger roter Fleck war auf dem weißen Stoff sichtbar.
    Die Blasrohre! Noch im selben Atemzug zog ich meinen Dolch, warf mich auf meine Mutter und schnitt mit der Klinge die Lederriemen auf. Ich zerriss mit beiden Händen ihr Untergewand und legte die Wunde frei. Sie war kaum größer als ein Insektenstich. Hastig presste ich meine Lippen darauf und saugte. Ich spürte den Blutgeschmack in meinem Mund, als ich würgend auf die Steine spuckte. Der keuchende Atem meiner Mutter strich über mein Haar.
    Â»Nicht«, sagte sie halblaut. »Nicht, es ist sinnlos …«
    Ich warf den Kopf hoch. Unsere Blicke begegneten sich. Ich sah ihre zuckenden Lider.
    Â»Das Gift wirkt langsam«, flüsterte sie mit bleichen Lippen.
    Fassungsloses Entsetzen lähmte die Männer der Leibgarde. Kuchikos sonst so ruhiges Antlitz war blass und verzerrt. Tsuki-Yomis Atem glich einem Röcheln. Doch die Königin hatte sich wieder gefasst. Ihre Augen funkelten die Männer an und ihre Stimme klang schneidend.
    Â»Ich befehle unbedingtes Schweigen über das, was sich soeben ereignet hat!«
    Die Offiziere verneigten sich wie ein einziger Mann.
    Â»Majestät«, sprach Kuchiko dumpf, »für die Verschwiegenheit meiner Mannschaft bürge ich mit dem Kopf!«
    Tsuki-Yomi nahm wortlos seinen Umhang ab, legte ihn über die Schulter der Königin. Erhobenen Hauptes ging sie an ihm vorbei, die Treppe hinunter. Ich folgte ihr.

    Meine Mutter schickte alle Zofen fort und behielt nur Saho, ihren Kammerdiener, zurück. Ihm befahl sie, Masumi, die »Weise Frau«, herbeizurufen. Masumi war in der Heilkunst erfahren. Sie kannte die Eigenschaften der Pflanzen, ihrer Wurzeln, Blätter und Samen. Sie war von edler Geburt und lebte am Hof; doch viele Leute aus dem Volk suchten sie auf und erbaten ihre Hilfe.
    Erst nach längerer Zeit glitt die Schiebewand zur Seite. Die »Weise Frau« verneigte sich auf der Schwelle. Saho hatte nach ihr suchen müssen, denn sie pflegte die Verwundeten. Sie war klein und rundlich. Obwohl bereits graue Strähnen ihr Haar durchzogen, hatte sie das Gesicht einer jungen Frau. Meine Mutter lag ausgestreckt auf der Matte. Ich selbst hatte ihr die Rüstung abgenommen, die Verschnürungen ihres Gewandes gelöst. Ein Schweißfilm bedeckte ihre Stirn, doch die zusammengepressten Lippen gaben ihrem Antlitz einen Ausdruck harter Entschlossenheit. Tsuki-Yomi hatte sich in angemessenem Abstand niedergelassen. Sein Schwert lag vor ihm auf der Matte und er hielt den Kopf gesenkt.
    Ehrfurchtsvoll kniete Masumi neben dem Lager der Herrscherin. Sie neigte das Haupt, legte beide Hände über die Wunde, ohne sie zu berühren. So verharrte sie eine Weile regungslos, als ob sie die Verletzung befragte. Dann richtete sie sich langsam auf.
    Â»Hol heißes Wasser und saubere Tücher«, sagte sie zu Saho. »Beeile dich, mein Sohn!«
    Die Stimme dieser Frau klang außergewöhnlich freundlich, fest und vertrauenerweckend.
    Â»Nun?«, fragte meine Mutter, als Saho sich entfernt hatte.
    Die »Weise Frau« stieß einen Seufzer aus. »Uns ist bekannt, Majestät, dass einzig am Hof von Nimana der königliche Leibarzt über ein Gegengift verfügt. Es soll nicht aus Pflanzen, sondern aus Mineralsalzen hergestellt sein. Doch müsste die Behandlung unverzüglich vorgenommen werden …«
    Â»Und sonst gibt es nichts?«, fragte meine Mutter mit einer Stimme, die seltsam abwesend klang. Masumi erwiderte gelassen ihren Blick.
    Â»Mit einem Absud von Kräutern vermag ich, Euer Leben, Majestät, eine gewisse Zeit zu verlängern …«
    Â»Für wie lange?«, fragte meine Mutter.
    Â»Bis zum Neumond.«
    Â»Werde ich bei Bewusstsein bleiben?«
    Â»Ich stehe dafür ein«, sagte Masumi.
    Langes Schweigen folgte ihren Worten. Saho kam zurück und brachte, was die »Weise Frau« verlangt hatte. Diese öffnete ein Leinensäckchen, das sie dem Ausschnitt ihres Gewandes entnahm. Es enthielt ein bräunliches Pulver, das nach Baumrinde roch. Masumi schüttete das Pulver in ein Gefäß und löste es in heißem Wasser auf. Mit diesem Aufguss wusch sie behutsam die Wunde und verband sie mit einem Tuch, das sie vorher mit Salbe bestrichen hatte. Danach sprach sie:
    Â»Ich werde morgens und abends kommen, um den Verband zu erneuern. Möge Eure Majestät zur Kenntnis nehmen, dass das

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