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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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mir«, hatte meine Mutter befohlen. Welches Urteil, dachte ich bitter, werde ich diesmal sprechen müssen?
    Die Lider fielen mir zu: eine Zeit lang noch kreisten meine Gedanken zwischen Traum und Wirklichkeit. Dann wurde alles dunkel und ruhig. Ich lag in tiefem Schlaf, als das machtvolle Dröhnen der Muschelhörner mich aufschreckte. Die Mauern warfen die schwingenden Töne in vielstimmigem Echo zurück. Zurufe. Hastige Schritte. Waffenklirren. Die Schiebetür glitt zur Seite. Miwa kniete mit angstverzerrtem Gesicht auf der Schwelle.
    Â»Die Sperbermenschen!«, stammelte sie. »Sie greifen von Osten an, von der Flussseite her!«
    Schwankend richtete ich mich auf, presste die Zähne aufeinander, um ein Stöhnen zu unterdrücken. »Schnell, kleide mich an!«
    Sie half mir, mein Haar in einen Knoten zu winden und den Heiligen Kamm darin zu befestigen. Als sie meine Rüstung festschnürte, spürte ich ihre eiskalten Hände. Sie reichte mir die Waffen. Ich prüfte rasch die Bogensehne, verließ wortlos das Zimmer. Miwas Schluchzen begleitete mich. Der Hof war voller Menschen. Schreie und Befehle ertönten von allen Seiten. Jemand rief: »Sie haben den Fluss überquert!«
    Die einzelnen Abteilungen stellten sich auf, bezogen Posten auf den Wällen. Im Gedränge hielt ich einen Offizier zurück: »Wo ist die Königin?«
    Er deutete auf den östlichen Wachtturm. Ich eilte durch Gänge, in die das Morgenrot durch schmale Spalten im Gestein sickerte, zwängte mich durch eine Tür und keuchte die steile Holztreppe empor. Atemlos erreichte ich den befestigten Wehrgang. Meine Mutter, von ihrer Leibgarde umgeben, stand zwischen den Zinnen. Farbige Bänder hielten ihre langen Ärmel über den Schultern zusammen. Die goldenen Verschnürungen ihres Brustpanzers klirrten, als sie mit gelösten kraftvollen Bewegungen ihre Pfeile abschoss. Kuchiko stand unbeweglich neben ihr wie ein großer, schützender Schatten.
    Während Tsuki-Yomi seinen Offizieren Anweisungen erteilte, bahnte ich mir einen Weg durch die Männer und spähte durch die Zinnen. Es lief mir kalt über den Rücken. Am unteren Rand der Hügel erstreckte sich eine mit Schilf und Buschwerk überzogene Ebene. Die Halme hatten ihre volle Höhe erreicht und lieferten dem anrückenden Feind wertvolle Deckung. Die Vorhut hatte den Wallgraben bereits erreicht, das Gros der Krieger stürmte schreiend hinterher. Die aufgehende glutrote Sonne tauchte die Landschaft in gespenstisches Licht. Die Hügelkämme und Wälder schienen mit Angreifern übersät, doch die Bewohner von Amôda leisteten erbitterten Widerstand. Man kämpfte in den Reisfeldern, auf den Äckern. Ich bemerkte voller Schreck, wie heftig der Wind in unsere Richtung wehte, und dachte an die gefürchteten Blasrohre. Die Luftströmung trug die winzigen, giftgetränkten Pfeile auf große Entfernungen.
    Und selbst durch die Rauchschwaden, die mit dem Morgennebel zu goldenem Dunst verschmolzen, sah ich die einsame Gestalt hinter dem Wallgraben, die dort den Angriff leitete. Wie hätte ich auch die purpurne Federmaske, den Schuppenharnisch, die sieben flammengleich gebogenen Klingen übersehen können! Kaltblütig erteilte der , dessen Name verflucht ist, seine Befehle, ließ die Sperbermenschen Baumstämme fällen und heranschleppen, um das Wasser zu überqueren und die Festungsmauern zu stürmen. Ich fühlte mich von der Heftigkeit ihrer Wutschreie wie betäubt; sie zerrten an meinen Nerven und drangen mir bis ins Mark.
    Ungeachtet der Gefahr, stand meine Mutter hoch aufgerichtet zwischen den Zinnen. Wieder zog sie einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn an die Bogensehne. Sie hielt die Kiefer fest zusammengepresst. Ihr starres Gesicht glänzte wie Gold. Langsam, wie traumbefangen, richtete sie die Pfeilspitze auf den Anführer. Sie grub die Zähne in die Unterlippe, während sich ihre Armmuskeln spannten. Ich wusste, sie würde ihren Schuss nicht verfehlen.
    Ich hörte mich kreischen: »Nein!«, als ein Luftzug meine Stirn streifte. Ein winziger Pfeil flog wie eine Mücke an mir vorbei. Ich sah, wie meine Mutter ihren Bogen sinken ließ. Ihre Hand griff nach ihrer Schulter. Der Pfeil hatte sich zwischen den Verschnürungen ihrer Rüstung durch das leichte Unterkleid in die Haut gebohrt. Mit blitzschneller Bewegung riss die Königin ihn heraus,

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