Im Zeichen der Sechs
Radschputana, von fluchbehafteten Edelsteinen und Palästen aus Gold und Elfenbein, menschenfressenden Tigern, marodierenden Elefanten und – was Innes am meisten interessierte – von den verbotenen Geheimnissen des Harems. Färbten diese Mädchen bestimmte, wichtige Teile ihres Körpers tatsächlich karmesinrot ein? Ja, das taten sie allerdings, bestätigte Presto: Eingeölt, lackiert und poliert, führten diese huris ein Leben, das dem Geben und Nehmen von Lust gewidmet war, in den Armen ihresgleichen und in denen ihres Herrn. Innes’ Gedanken wirbelten umeinander wie Windmühlenflügel in einer steifen Brise: Hatte Presto so einen parfümierten Serail denn tatsächlich schon einmal besucht?
»Aber wie sehr unterscheiden sich diese Frauen letzten Endes doch von den gepflegten Ehefrauen unserer westlichen High Society«, sagte Doyle und ersparte Presto das würdelose Eingeständnis des Offenkundigen. »Ich meine nicht alle, aber doch die, die ihr Leben damit verbringen, ihren physischen Charme zu erhalten – mit Gesichtsmassagen und Sechs-Gallonen-Flaschen Shampoo – und sich in eine Trophäe oder in ein Dekorationsstück am Arm ihres Gatten verwandeln.«
»Aber vor allen Dingen ist man doch fünfzig von denen auf einmal gar nicht gewachsen«, gab Innes zu bedenken.
»Sie würden sich wundern«, antwortete Presto mit wollüstigem Lächeln. »Vorausgesetzt, daß Geld kein Thema ist.«
»Und das Problem der Vielweiberei einmal beiseite gestellt«, sagte Doyle.
»Ich wüßte einen wichtigen Unterschied«, sagte Stern. »Im Westen kann eine Frau von der Art, wie Sie sie beschreiben, das Haus verlassen, wenn sie will.«
»Richtig, sie ist keine Sklavin per se«, sagte Doyle. »Aber, worauf ich hinauswill: Sind sie nicht in ähnlicher Weise Sklavinnen des Geistes? Die Ehefrau hierzulande darf vielleicht das Haus verlassen, wie Sie zu bedenken geben, aber kann sie auch die Situation verlassen? Wenn sie von ihrem Los genug hat, kann sie dann weglaufen und ein eigenes Leben führen?«
»Warum sollte sie das wollen?« fragte Innes.
»Theoretisch gesprochen, alter Junge.«
»Sie sollte es können«, sagte Presto. »Und sie kann sich nach westlichem Recht sicher auf Gesetze berufen.«
»Aber die Realität sieht doch ganz anders aus. Die abendländische Gesellschaft ist so eingerichtet, daß sie Handlungsfreiheit auf Seiten der Männer unterstützt, und gleichzeitig davor geschützt, daß die gleichen Rechte den Frauen eingeräumt werden. Ich glaube, daß es etwas mit dem unbewußten Schutz der Fortpflanzungsfunktion zu tun hat; die Spezies muß überleben, um jeden Preis, und die Frau muß vor allem Schädlichen geschützt werden, auch wenn wir uns dessen nicht bewußt sind.«
»Ich war immer zu beschäftigt, um mir eine Frau zu nehmen«, sagte Stern und gab sich seinem Bedauern hin.
»Das Haremleben hört sich gar nicht so schlecht an«, meinte Innes. »Nicht viel Arbeit. Jede Menge Freizeit.«
»Du verlierst dich da in Träumen von der Verfügbarkeit der Frauen rund um die Uhr; aber hast du eine Ahnung, was passieren kann, wenn eines der Mädchen das Mißfallen ihres Herrn erregt?« Doyle sah Presto an.
»Folter, Verstümmelung, Enthauptung«, sagte Presto.
»Wirklich? Das ist ja furchtbar.«
»Aber wie würdest du es finden, wenn den Frauen die gleiche sexuelle Freiheit gewährt würde, wie du sie genießt? Wenn sie sich entschließen könnten, zu schlafen, mit wem sie wollen, wann immer sie wollen?«
»Was für ein entsetzlicher Gedanke«, sagte Innes. »Ich meine, dann ist doch der ganze Sinn der Sache beim Teufel, oder?«
»Ich will damit sagen, Männer haben zwar die zivilisierte Welt zu dem gemacht, was sie ist, aber sie haben es auf Kosten jener Partner getan, mit denen uns der Schöpfer vernünftigerweise beehrt hat. Sie sind die unsichtbar Unterdrückten unter uns.«
»Sind Sie dafür, den Frauen das Wahlrecht zu geben, Mr. Doyle?« fragte Presto.
»Ach du lieber Gott, nein«, sagte Doyle. »Solche Dinge muß man vernünftig angehen. Wir müssen ihnen zunächst einmal Bildung vermitteln, denn sie müssen ja wissen, worüber sie da abstimmen sollen. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.«
»Wäre vielleicht gar nicht so schlecht«, meinte Innes, der sich eine rosarote Welt der sexuellen Gleichberechtigung vor Augen zauberte. »Wäre doch sehr viel weniger kostspielig, eine Puppe ins Bett zu kriegen. Keine Blumen, keine schicken Abendessen für zwei in teuren Bistros.«
»Ich fürchte,
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