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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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sie für einen Augenblick allein ließ, und sah ihm nach.
    Er brauchte frische Luft. Wieder dieses mulmige Pochen in seiner Brust, zum drittenmal seit der Abreise aus Chicago. Sie hatte es nicht gemerkt, dessen war er sicher, aber er hatte gespürt, wie das Blut aus seinem Gesicht entwichen war wie Wasser aus einer Badewanne. Ein verzweifeltes Leeregefühl breitete sich in seinem Kopf aus, und seine Sicht verengte sich zu einem verschwommenen Tunnel. Er griff nach der Klinke der Waggontür und drückte sie mit dem bißchen Kraft herunter, das er noch aufbringen konnte. Als er jetzt auf der Plattform zwischen den Wagen stand, wo sie ihn nicht sehen konnte, verwandte er all seine Energie darauf, seine Kräfte wieder -
    atme, du alter Trottel: schlimmer, viel schlimmer Er krümmte sich vornüber und sog die heiße Wüstenluft in großen Zügen ein; er fühlte, wie sie wirkungslos durch den ausgedörrten Blasebalg seiner Lunge rauschte. Sein Herz pochte mühsam, setzte einen Takt aus, verlor den Rhythmus -
    komm schon, Jacob, genug mit diesem Unfug, du hast Arbeit
    Es kribbelte in seinen Gliedern, seine Finger wurden taub, seine Knie wollten den Dienst versagen, er klammerte sich an die Ketten, die die Plattform umgaben, schaute hinunter auf das glänzende Band aus Stahl, das unter dem Zug vorübersauste. Schweiß rann ihm über die Stirn, durchnäßte sein Hemd -
    das ist schlimmer als früher, es ist schlimmer als je zuvor
    Sein Gleichgewicht geriet ins Wanken, und sein Verstand stellte die Arbeit bis auf einen einzigen Gedanken ein: Halte diese Kette fest. Wenn er den Halt verlöre, würde er seitwärts hinunterkippen. Dunkelheit erhob sich rings um ihn, seine Augen konnten kaum noch sehen, sein Pulsschlag hüpfte wie ein flacher Stein auf dem Wasser, und er hörte nichts außer dem Brandungstosen seines turbulenten Herzschlags -
    nur noch einen Schritt; so nah, der Tod schwebte über ihm, leicht wie eine Feder
    - und wie eine Brandungswelle sich brach, wich die Krise zurück; seine Sicht klärte sich, die schwarzen Flecken wirbelten davon, seine Lunge füllte sich mit einem zufriedenstellenden Atemzug, die Verzweiflung ließ nach, das Gefühl kehrte in seine Fingerspitzen zurück. Er sackte gegen die Wand, und seine Beine zitterten, aber er fühlte, wie der Druck in seiner Brust sich lockerte. Muskeln knisterten wie Stroh, als er seine Standfestigkeit wiederfand. Schrecklich schwach. Heiße Windstöße trockneten den Schweiß auf seiner Stirn. Tastend überschritt er die Plattform, und behutsam, öffnete er die Tür zum nächsten Waggon.
    Kühl und dunkel war es hier, einladend. Er lächelte matt; nicht so übel, was, Jacob? Er hatte sich näher an den Rand herangewagt als jemals zuvor. Wenn das die Hand des Todes auf seiner Schulter gewesen war, dann hätte er sich nur umzudrehen brauchen, um ihm ins Gesicht zu sehen. Er hatte immer eine Abneigung gegen Schmerzen gehabt, aber wenn der Abschied nicht mehr als das erforderte, dann schien es ja ganz mühelos zu gehen. Eine Sache des Aufgebens, nicht des Kämpfens: Loslassen und still davon gleiten. Zittriges Licht fiel schräg durch ein Lamellenfenster. Jacob ließ sich auf eine Bank sinken; seine Augen paßten sich an die Umgebung an, und er sah schärfer. Was sind das alles für seltsame verhüllte Gestalten? Wo bin ich – im Wartezimmer zum Fegefeuer?
    Dann erinnerte er sich an die Ladung, die auf dem Bahnhof in den Zug geschafft worden war; ein Stück von einem roten Samtvorhang, das irgendwo hervorlugte, und eine Tonne mit Speeren, deren Spitzen zur Decke wiesen, bestätigten es. Theaterrequisiten und Kulissen. Truhen, Garderoben; Gerätschaften in der Werkstatt der Schöpfung.
    »Was für ein passender Platz zum. Sterben«, flüsterte er. Er hörte eine Bewegung in der Ecke, ein scharrendes Geräusch, Metall auf Stein. Arhythmisch, zielstrebig, ganz un-verbunden mit dem Schaukeln des Zuges. Jacob lauschte eine Weile und sammelte seine Kräfte, bevor die Neugier ihn überwältigte. Er stand auf und bewegte sich durch eine schmale Lücke zwischen den Kulissen leise auf das Geräusch zu. Zu beiden Seiten sah er gemalte Berggipfel, Palastmauern, einen unglaublich üppigen Sonnenuntergang. Das Geräusch brach ab. Jacob blieb stehen. Etwas rasselte hinter ihm. Er drehte sich langsam um. Die Spitze eines langen Messers berührte leicht seinen Hals; die Waffe wurde von einem Mann geführt, der die blaue Uniform eines Bahnpolizisten trug. Ein Wetzstein in der freien Hand

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