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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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– das Geräusch, das Jacob gehört hatte: Er hatte die Klinge geschärft.
    Das Gesicht des Mannes: asiatisch. Ein Chinese? Blaß und angespannt, so wie Jacob vermutlich selbst aussah. Der Uniformrock nur halb zugeknöpft; Blutflecken unterhalb der Schulter färbten das Blau zu einem rostigen Violett.
    Das ist der Mann, von dem am Bahnhof die Rede war, erkannte Jacob. Die Jagd auf den Mörder mit dem Schwert. Sieht aus, als würde ich hier doch noch sterben -
    Wenn dem so ist, wieso bin ich dann so ruhig? Sein Herz schlug kein bißchen schneller.
     
    Ernste Konzentration im Gesicht des Mannes wich einem Interesse, das dem Jacobs ähnelte; offensichtlich empfand er den alten Mann nicht als Bedrohung. Langsam sank das Messer hinab, und sie betrachteten einander mit wachsender Faszination.
    »Verzeihen Sie mir die Störung«, sagte Jacob. »Ich habe nach einem Platz zum Sterben gesucht.«
    Der Mann betrachtete ihn. Noch nie hatte Jacob Augen gesehen, die so wenig verrieten. Flach und schwarz, reine Neutralität.
    »Ein Platz ist so gut wie der andere«, sagte der Mann, und seine geschickten Finger fanden die lange Klinge und führten sie in eine verzierte Scheide.
    Was kommt mir nur so vertraut vor an diesem Mann? überlegte Jacob. Offensichtlich hatte er ihn doch noch nie gesehen – der Gedanke war lächerlich –, und trotzdem empfand er ein tiefes, stilles Gefühl der Verwandtschaft.
    »Wie sonderbar«, sagte Jacob leise.
    Der Mann setzte sich auf einen Schemel zwischen die Kulissen – der Not gehorchend, wie Jacob erkannte, als er das Blut sah, das auf den Boden getropft war. Er hatte die Wunde – links, unter dem Arm – mit einem weißen Baumwollstreifen verbunden, den er sich um die Brust gewickelt hatte.
    Eine zweite, längere Scheide lag zu seinen Füßen, von der gleichen Beschaffenheit wie die kleine; Lichtpunkte in schwarzem Lack glänzten an den Rändern, und der abgenutzte Silbergriff eines Schwertes ragte heraus. Der Mann legte die Messerscheide sorgfältig neben das Schwert und schob sie so zurecht, daß beide das Licht im selben Winkel reflektierten.
    » Dai-sho«, sagte er. »Groß und klein.«
    »Groß und klein?«
    » Katana, wakizashi«, sagte er und deutete erst auf das Schwert, dann auf das Messer.
    »Ich verstehe.«
    »Es heißt kusanagi.« Behutsam beugte der Mann sich vor und hob das Schwert auf. »Der Grasschneider.«
    »Warum?«
    »Die Legende sagt, es gehörte Susanoo, dem Gott des Donners; er schnitt das Schwert mit Blitzen aus einem Berggipfel. Eines Tages ging Susanoo auf die Jagd und ließ es zurück; das Schwert wurde zornig und schnitt jeden Baum und jeden Grashalm auf der Insel ab. Darum gibt es so wenig Bäume in Japan …« Er brach ab, schloß die Augen und wurde bleich; ein Schmerzensschauer durchlief ihn.
    »Es bewegt sich von selbst, dieses Schwert?« fragte Jacob.
    Der Schauer verging; der Mann nickte.
    »Ein beachtliches Schwert.«
    » Honoki«, sagte der Mann und fuhr mit der Hand über die glänzende Scheide. »Hartholz – geschnitzt aus dem letzten Baum, den das Schwert schlug. Same, Fischhaut – von einem Wal, den Susanoo erlegte. Habuki, der Kragen, verhindert, daß Klinge an Hülle scheuert. Dieser Stift befestigt Klinge am Griff, Bambus – mekugi. Metallnägel bedecken den Stift – menuki.«
    Der Schweiß troff ihm in Strömen von der Stirn; seine Finger zitterten. Er rezitiert dies als eine Art Meditation, erkannte Jacob – um wach zu bleiben, aufmerksam. Vielleicht, um am Leben zu bleiben.
    »Was ist das?« fragte er leise und deutete auf den Schwertknauf.
    » Kashira.«
    »Und das?« Er zeigte auf eine Platte, die an der Scheide ruhte.
    » Tsuba. Schützt Griff vor Klinge.«
    Der Mann zog das Schwert ein paar Zoll weit aus der Scheide, um Jacob das tsuba zu zeigen: ein elliptischer Stapel von miteinander verschweißten Metallplatten, einen halben Zoll dick, mit roter Patina; die sichtbare Oberfläche war auf das feinste ziseliert und zeigte das Bildnis zweier Feuervögel; der eine hielt die fließenden Schwanzfedern des anderen im Schnabel, der eine erhob sich aus stilisierten Flammenzungen, der andere stürzte hinein.
    »Das ist der Phoenix«, stellte Jacob fest; er war erstaunt,
    ein so zartes Kunstwerk als Teil einer tödlichen Waffe zu sehen.
    »Phoenix«, sagte der Mann. »Name von Stadt.« Er neigte den Kopf rückwärts in die Richtung, aus der sie kamen.
    Nicht ohne Ironie, dachte Jacob; in diesem Mann geht mehr vor, als man auf den ersten Blick

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