Im Zeichen der Sechs
darauf, die Jahre der Fortpflanzung hinter sich zu bringen, damit man sie behandelte wie jedes andere menschliche Wesen.
Andererseits, altes Mädel, korrigierte sie sich – und sie erinnerte sich an ihr verbrauchtes Gesicht im Spiegel an diesem Morgen und daran, wie willkommen ihr die mit Volldampf erwiesenen Aufmerksamkeiten eines Mannes waren, wenn sie dafür empfänglich war –, andererseits wollen wir doch nichts überstürzen.
»Mal sehen, ob ich Sie richtig verstanden habe«, sagte sie, um ein kürzlich geführtes Gespräch wiederzubeleben. »Sie sind ein ausgewiesenes Mitglied Ihrer Geistlichkeit, aber das gibt Ihnen nicht die Befugnis, unmittelbar mit Gott zu kommunizieren?«
»O nein, dem Himmel sei Dank. Nur Moses und ein paar andere Juden des Alten Testaments trugen die Last solcher Verantwortung, und selbst bei ihnen wurden die Gespräche für gewöhnlich durch irgendeinen Mittler gefiltert, durch einen Engel etwa oder durch einen brennenden Dornbusch«, sagte Jacob, über seine Zeichnung gebeugt.
»Aber es gibt doch Hunderte von christlichen Pfarrern hierzulande, die glauben, daß sie das Wort Gottes unmittelbar durch die Stimme ihres Herrn vernehmen.«
»Ja«, sagte Jacob mit traurigem Lächeln. »Ich weiß.« »Aber wenn Sie keinen Kontakt zu Ihm haben – wer immer Er ist –, wie können Sie dann behaupten, Gottes Willen zu tun?«
»Ein Rabbi behauptet so etwas nicht, meine Liebe; diese Aufgabe ist viel zu wichtig, als daß man sie den Professionellen anvertrauen dürfte. Wenn Gott zu jemandem spricht, dann nur durch die Stimme des menschlichen Herzens, und jeder, dem Sie begegnen, hat eine davon.« »Theaterproduzenten ausgenommen.« »Von bestimmten Gegenden in New York ganz zu schweigen«, sagte Jacob. »Mein Volk hegt die Überzeugung, daß die Existenz der Welt aufrechterhalten wird durch die Rechtschaffenheit einer kleinen Zahl völlig gewöhnlicher Menschen, die keinerlei Aufmerksamkeit auf sich lenken und in aller Stille ihren Angelegenheiten nachgehen.«
»Wie Heilige also.«
»Verborgene Heilige könnten Sie sagen, die weder Lohn noch Anerkennung für das suchen, was sie tun. Wenn Sie auf der Straße an Ihnen vorübergehen, werden Sie sie kaum bemerken; nicht einmal sie selbst haben die leiseste Ahnung davon, daß sie einen so wichtigen Dienst erfüllen. Aber sie tragen die ganze Last der Welt auf ihren Schultern.«
»Das klingt eher wie ein Job für den Messias«, meinte sie.
»Diese ganze Messias-Geschichte wird schrecklich überbewertet –«
»Sie glauben nicht an den Messias?«
»Es gibt im Judaismus eine Überlieferung, die sagt, wenn jemand dir erzählt, der Messias sei gekommen, und du pflanzt gerade ein Bäumchen, so pflanze erst dein Bäumchen fertig und sieh dann, was es mit diesem Messias auf sich hat.«
»Hmmm. Ich schätze, wenn einer tatsächlich der Messias wäre, dann würde er wohl kaum herumlaufen und es vor den Leuten herausposaunen.«
»Nicht, wenn er das Abendessen noch erleben will. Wenn Sie das Thema historisch betrachten, so nahm diese Idee ihren Anfang, weil die Juden sich wünschten, daß ein Mensch mit übernatürlichen Kräften vom Himmel heruntergezogen kommen und sie erretten möge – eine ganz natürliche Reaktion auf tausend Jahre Sklaverei, meinen Sie nicht auch?«
»Ich würde mir ein ganzes Geschwader davon wünschen.«
»Dann kam Jesus, und der Rest ist, unabhängig von dem, was Sie glauben, Geschichte. Aber seitdem pflegt in der abendländischen Kultur immer dann, wenn wir uns wie jetzt dem Ende eines Jahrhunderts nähern, die Befürchtung, der Tag des Jüngsten Gerichts könnte bevorstehen, in uns den Wunsch zu wecken, ein Erlöser möge erscheinen und alles in Ordnung bringen. Und dies verbindet sich stets mit der seltsamen Vorstellung, es könne nur eine solche Person geben.«
»Mehr als ein Messias?« fragte Eileen. »Aber er ist doch seiner Definition nach ein Einzelstück.«
»In der Kabbala gibt es eine alternative Vorstellung, die mir immer unendlich plausibler vorgekommen ist: Mit jeder Generation, die durch dieses Leben geht, leben zu jeder Zeit ein paar Leute, die – ohne zu ahnen, daß sie eine solche Eigenschaft besitzen – die Rolle des Messias übernehmen könnten, wenn die Umstände es erforderten.«
»Die ›Rolle‹ des Messias?«
»So, wie wir alle im Leben unsere Rolle spielen: Stolz oder verzagt erwarten wir unsere Stunde auf der Bühne, erfüllt von Lärm und Raserei, um darzustellen, weiß der Himmel
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